Elite Dairy Tour 2024

Milch trotz Moor

Tim Müllers Milchkuhbetrieb liegt mitten im Moor. Von den Plänen zur Wiedervernässung des Moors lässt er sich nicht abschrecken.

Tim Müller steht zwischen seinen grasenden Kühen auf einer grünen Wiese und lässt seinen Blick in die Landschaft schweifen. Er zeigt geradeaus: „500 Meter von hier beginnen die Moorflächen. 80 % unserer Flächen liegen in diesem Bereich.“ Auf den ersten Blick scheint nichts ungewöhnlich, doch die Moorflächen bereiten dem 34-Jährigen seit gut zwei Jahren Kopfzerbrechen.
Um die CO2-Emissionen zu senken, hat die Bundesregierung 2022 die "Nationale Moorschutzstrategie" verabschiedet. Kernpunkt ist die Wiedervernässung der Moorflächen (Renaturierung von Ökosystemen), denn die Moore sollen für etwa ein Drittel aller CO2-Emissionen aus der Landwirtschaft verantwortlich sein.

Betriebsspiegel

  • 11.768 kg Milch mit 4,00 % Fett und 3,52 % Eiweiß
  • Durchschnittliche Nutzungsdauer: 50 Monate
  • Lebender Bestand: 32 Monate
  • ZKZ: 480 Tage
  • EKA: 26,9 Monate
  • Lebensleistung (abgegangen): 47.248 ECM, Lebenstagsleistung (abgegangen): 20,3 ECM
  • ZZ: Ø 150.000 - Färsen: 99.000 - Kühe: 168.000
  • 220 Hektar: Dauergrünland 190 ha, 25 ha Acker
Tim Müller wäre von einer solchen Renaturierungsmaßnahme direkt betroffen, denn die meisten seiner Flächen würden dadurch der Milchproduktion entzogen. Er führt einen Milchkuhbetrieb mit 340 Holsteinkühen in der Nähe von Riepsdorf in Ostholstein. Der zweifache Familienvater hat den Betrieb gemeinsam mit der Familie in den letzten 10 Jahren von 120 Kühen auf die heutige Betriebsgröße entwickelt und vor vier Jahren von seinen Eltern übernommen. 1956 erst wurde der einstige Mischbetrieb aufgesiedelt und anschließend von Tim Müllers Vater zu einem Milchkuhbetrieb spezialisiert. „Die Moorflächen um den Standort waren für die ansässigen Ackerbaubetriebe recht uninteressant. Wir konnten unsere Grundfuttererzeugung ausbauen, ohne viel Druck auf dem Pachtmarkt auszuüben“, erklärt Tim Müller. 20 Hektar rund um den Betrieb stehen als Weidefläche zur Verfügung.

Bewirtschaftung von Mooren schwierig

Die Moorflächen bieten zwar viele Vorteile, wie zum Beispiel eine bessere Wasserspeicherung in den vergangenen trockenen Jahren, sie sind aber auch schwieriger zu bewirtschaften. „Unsere Flächen unterliegen bereits einem Umbruchsverbot, ebenso ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln untersagt und der Düngereinsatz ist zusätzlich eingeschränkt“, erklärt Tim Müller. „Wir haben uns mit den Anforderungen arrangiert und können damit umgehen.“ Er betont außerdem: „Eine planlose Vernässung unserer Moore, welche „von oben“ übergestülpt und nicht auf die individuellen Herausforderungen der Region eingehen würde, kann uns den Boden unter den Füßen wegziehen. Wir haben in den letzten Jahren viel investiert und hängen wirtschaftlich, aber auch emotional an unserem Standort. Wir können und wollen nicht so einfach unsere Milchviehhaltung reduzieren oder einstellen.“ Hinzu kommt: „Etwa 80% meiner Moorflächen sind gepachtet. Sämtliche Ausweichmodelle entschädigen bisher aber nur den Eigentümer. Als Pächter würde ich aus dem Pachtverhältnis gedrängt und stünde mit leeren Händen da“, gibt Tim Müller zu bedenken.

Nicht tatenlos zusehen

Viele Landwirte wie Tim Müller sehen deshalb in der Wiedervernässung eine anrollende Gefahr, da sie befürchten, dass dies ihre Existenzgrundlage massiv beeinflussen könnte. Seitens der Politik wird ihm geraten, auf sogenannte Paludikulturen zu setzen. Das sind beispielsweise Schilf, Rohrkolben oder Torfmoose, die potenzielle neue Einnahmequellen für Landwirte bieten sollen. „Eine Umstellung auf Paludikulturen wäre, in meinen Augen, zum jetzigen Zeitpunkt hochgradig naiv. Es mangelt an fundiertem Fachwissen, an etablierten Vermarktungswegen und einfach auch an Erfolgsgeschichten aus der Praxis. Wenn man ein solches Projekt in Angriff nehmen will, müsste es schon groß gedacht und im Schulterschluss aus der Region heraus mit Leben gefüllt werden. Ein ‚einfach mal loslaufen‘, sehe ich in dieser Thematik als vergeudete Energie an“, erklärt Tim Müller. „Und was noch viel entscheidender ist: Ich bin Milchviehhalter mit Leib & Seele. Ich brenne für meine Mädels und nicht für Nasskulturen!“
Wir können und wollen nicht so einfach unsere Milchviehhaltung reduzieren oder einstellen.“
Tim Müller

„Wenn wir es nicht tun, machen es andere“

Statt den Kopf in den Sand zu stecken, hat Tim Müller schon früh damit begonnen, sich mit der Moor-Problematik auseinander zu setzen. „Vor gut anderthalb Jahren habe ich das Thema auf einer Versammlung des Bauernverbandes angesprochen und somit einen Stein ins Rollen gebracht.“ Aus der Initiative des 34-Jährigen entwickelte sich eine Arbeitsgruppe mit verschiedenen Akteuren. „2.000 Hektar sind allein in der Oldenburg-Grabenniederung betroffen. Also blieb uns Landwirten gar nichts anderes übrig, als aktiv zu werden. Denn wenn wir es nicht tun, machen es andere, aber dann nicht in unserem Sinne“, ist sich Tim Müller sicher.
Zusammen mit dem Bauernverband, dem ansässigen Wasser- und Bodenverband, der Universität Kiel, verschiedenen Landwirten und weiteren Akteuren wird aktuell ein regionales Konzept erarbeitet, wie die zukünftige Moornutzung unter Berücksichtigung aller Beteiligten funktionieren kann. Das Projekt läuft unter dem Namen „Unsere Moor-Zukunft-Oldenburger-Graben“, kurz „UMZOG“.

Neben Milch und leckerem Grillkäse bietet Tim Müller auch Eis und Joghurt an. (Bildquelle: Mühlinghaus)

Einstieg in die Direktvermarktung: „Endlich ein Käse, der nicht quietscht“

Tim Müller möchte seinen Milchkuhbetrieb - gerade wegen der geplanten Wiedervernässung - zukunftssicher weiterentwickeln. „Ich habe zwei kleine Söhne. Ihnen in 20 Jahren zumindest die Möglichkeit zu geben, den Hof zu übernehmen, ist ein großes Ziel für mich.“ Die Leidenschaft für die Milcherzeugung sieht man dem jungen Familienvater an. Stets setzt er sich intensiv mit den Gegebenheiten seines Hofes auseinander und hinterfragt Entscheidungen. Deshalb ist Tim Müller vor gut einem Jahr in die Direktvermarktung eingestiegen. Seitdem verkauft er Rohmilchkäse, Käsechips, Milch- und Molkeeis und einige Fleischprodukte auf seinem Hof und auf Märkten. Sein ganzer Stolz ist der hofeigene Grillkäse. „Endlich mal ein Grillkäse, der nicht quietscht und richtig lecker schmeckt“, präsentiert er stolz. Seit der Einführung des Produkts konnte er bereits mehr als 5.000 Kunden begeistern. Die eigens kreierte Panade hat Tim Müller patentieren lassen. Eine mobile Käserei kommt zwei- bis dreimal im Monat vorbei und entwickelt zusammen mit ihm die Produkte.

Langfristig möchte Tim Müller die Kälberhaltung auf die Pärchen-Haltung umstellen. (Bildquelle: Mühlinghaus)

480 Tage Zwischenkalbezeit

Voraussetzung für die Erzeugung von Milchprodukten hoher Qualität sind gesunde Kühe, die die Milch liefern. Das Wohl seiner Kühe liegt Tim Müller am Herzen. Deswegen bietet er seinen Kühen Weidegang an. Ein weiterer Faktor, der laut Tim Müller zum Tierwohl beiträgt, ist die verlängerte Zwischenkalbezeit. Diese liegt im Schnitt bei 480 Tagen. „Bei uns wird normalerweise keine Kuh vor dem 140. Tag besamt.“ Hochleistende Färsen lässt er teilweise sogar auch mit 200 Tagen nochmal laufen. Für seine persönlich ideale Herde paart er seine Kühe nach dem Triple A-Ansatz an. Sechs Kälber pro Monat zieht er für die Nachzucht groß.
Um jederzeit bestens über die Gesundheit seiner Kühe Bescheid zu wissen, nutzt Tim Müller für die Tierüberwachung Boli von SmaXtec. „Seit zweieinhalb Jahren arbeiten wir jetzt damit“, berichtet er. Somit hat er die Aktivität seiner Kühe, wie das Wiederkauen und Trinkeverhalten, aber auch die Pansentemperatur und mögliche Abkalbungen genau im Blick.
Unsere Kühe haben immerhin auch eine Daseinsberechtigung.
Tim Müller

Kühe müssen bleiben

Zukünftig soll die Herde nicht weiter wachsen. Langfristig plant Tim Müller, den Kälberbereich zu optimieren. „Die Pärchen-Haltung wird kommen“, ist er überzeugt. Zusätzlich setzt er sich aktuell mit der ammengebundenen Kälberaufzucht auseinander. Tim Müller brennt für seinen Beruf. „Die Milchkuhhaltung ist meine große Leidenschaft.“ Diese Begeisterung gibt er auch an sein Team weiter. „Nur wenn ich selbst brenne, kann ich bei anderen ein Feuer entfachen“, ist er sich sicher. Hinsichtlich der Moor-Thematik betont er: „Jedes Moor für sich ist sehr komplex. Daher brauchen wir regionale Konzepte, es muss aus der Region heraus gelöst werden.“ Tim Müller bleibt dennoch optimistisch „Wenn wir miteinander arbeiten und ins Gespräch kommen, können wir eine Lösung finden, ohne dass die Milchkuhbetriebe aufgeben müssen. Unsere Kühe haben immerhin auch eine Daseinsberechtigung.“

Das hat uns beeindruckt:

Strategische Anpassung an Umweltvorgaben
Tim Müllers Fähigkeit, sich an strenge Umweltauflagen wie das Umbruchverbot und Einschränkungen bei Pflanzenschutz und Düngung anzupassen, zeigt seine Flexibilität und Entschlossenheit. Trotz der Herausforderungen hat er sich mit den Anforderungen arrangiert und kann damit umgehen, was seine Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft unterstreicht.
Proaktive Herangehensweise an die Moor-Problematik
Statt tatenlos zuzusehen, hat Tim Müller das Thema Wiedervernässung aktiv aufgegriffen und eine Arbeitsgruppe initiiert, die ein regionales Moornutzungskonzept erarbeitet. Diese Initiative zeigt seinen Führungswillen und sein Engagement, Lösungen zu finden, die sowohl die Umwelt, den Artenschutz als auch die landwirtschaftliche Nutzung berücksichtigen.
Engagement für das Wohl seiner Kühe und innovative Direktvermarktung
Tim Müllers Engagement für das Tierwohl, z.B. durch Weidegang und verlängerte Zwischenkalbezeiten, sowie die erfolgreiche Einführung von Direktvermarktungsprodukten wie dem beliebten Grillkäse zeigen seine Leidenschaft für die Landwirtschaft und seine Innovationsfreude.

Erfolgsfaktoren im Stall

Ein starkes Team

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor im Stall ist ein engagiertes und motiviertes Team. Tim Müller ist sich bewusst, dass der Erfolg seines Milchkuhbetriebes nicht nur auf seiner Leidenschaft und seinem Wissen beruht, sondern maßgeblich von den Menschen abhängt, die täglich mit den Tieren arbeiten und die Betriebsabläufe unterstützen. Tim Müller betont, wie wichtig es ist, selbst für seine Arbeit zu brennen, um andere zu motivieren. "Nur wenn ich selbst brenne, kann ich auch in anderen ein Feuer entfachen", sagt er. Diese Einstellung überträgt sich auf das gesamte Team und schafft eine Arbeitsatmosphäre, in der jeder motiviert ist, sein Bestes zu geben.

Das Team des Milchhofs Müller besteht aus 12 Personen. (Bildquelle: Müller)

Tierwohl und Gesundheitsmanagement

Tim Müller legt großen Wert auf das Wohlergehen seiner Kühe, was sich in Maßnahmen wie Weidegang und verlängerter Zwischenkalbezeit widerspiegelt. Diese Faktoren tragen wesentlich zur Gesundheit und Produktivität der Kühe bei. Der Einsatz von Boli zur kontinuierlichen Überwachung der Gesundheit und Aktivität der Kühe ermöglicht es, frühzeitig auf gesundheitliche Probleme zu reagieren und so die Milchqualität und -menge zu optimieren.

Als Einstreu nutzt Tim Müller eine Mischung aus Güllesubstrat und Gesteinsmehl. (Bildquelle: Mühlinghaus)

Die Zuchtstrategie

Die Anwendung des Triple A-Ansatzes in der Zucht zeigt, dass Tim Müller gezielt auf die Verbesserung seiner Herde achtet. Durch die Auswahl des idealen Bullen aus einem großen Pool an verfügbaren Optionen und die intensive Betreuung der Kälber für die Nachzucht stellt er sicher, dass die Qualität und Leistung seiner Herde kontinuierlich verbessert wird.

Sechs Kälber pro Monat werden für die Nachzucht aufgezogen. (Bildquelle: Mühlinghaus)

Die Dairy Tour 2024 im Überblick:

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Die Sponsoren der Elite Dairy Tour 2024 (Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)

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