Kompakt
- Die frühe Erkennung und Behandlung von Schmerzen beim Rind ist gelebter Tierschutz. Das Wissen darüber ist in der Praxis noch ausbaufähig.
- Nach einer sorgfältigen Diagnose durch den Tierarzt sollte man dem Tier schon bei leichten Schmerzen ein schnell wirksames Schmerzmittel verabreichen.
- Zur Linderung trägt z.B. auch ein höherer Haltungskomfort bei.
Jeder Milcherzeuger weiß, woran er eine Kuh mit Milchfieber oder ein lahmes Tier erkennt. Doch...
Kompakt
- Die frühe Erkennung und Behandlung von Schmerzen beim Rind ist gelebter Tierschutz. Das Wissen darüber ist in der Praxis noch ausbaufähig.
- Nach einer sorgfältigen Diagnose durch den Tierarzt sollte man dem Tier schon bei leichten Schmerzen ein schnell wirksames Schmerzmittel verabreichen.
- Zur Linderung trägt z.B. auch ein höherer Haltungskomfort bei.
Jeder Milcherzeuger weiß, woran er eine Kuh mit Milchfieber oder ein lahmes Tier erkennt. Doch unter welchen Schmerzen das Tier dabei tatsächlich leidet, ist vielfach unbekannt. „Unser Wissen über die Schmerzsignale und die Schmerzbehandlung ist in der Praxis noch ausbaufähig“, sagt Dr. Melanie Feist, Leiterin der Abteilung Orthopädie an der Klinik für Wiederkäuer mit Ambulanz und Bestandsbetreuung der Ludwig-Maximilians Universität München (LMU). Hier werden jährlich bis zu 1.300 Rinder stationär behandelt. Die Tierärztin beschäftigt sich schon seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema Schmerz bei Rindern.
Das Grundproblem dabei ist die Schmerzerkennung. Generell zeigen Rinder als Herden- und Fluchttiere relativ wenig und sehr spät äußere Schmerzanzeichen. Sie wollen nicht auffallen und von der Herde als rangniedriger eingestuft werden. Wie stark sie Schmerzen empfinden, hängt außerdem davon ab, welche Erfahrungen das Tier bereits mit Schmerzen hat. Dr. Melanie Feist erklärt: „Schon Jungtiere entwickeln ein Schmerzgedächtnis mit der Folge der Hypersensitivität, d.h. einer erhöhten Empfindlichkeit für Schmerzen.“ Hinzukommen die Faktoren Stress und Angst, die ebenfalls das Schmerzempfinden beeinflussen. Man unterscheidet den akuten Schmerz vom chronischen Schmerz. Der akute Schmerz ist kurzfristig zu sehen und immer mit einem Trauma oder einem operativen Eingriff verbunden. Er dient als Schutzmechanismus und Warnung. Bleibt er unbehandelt, kann er chronisch werden. Chronische Schmerzen sind immer mit einer längerfristigen Entzündung verbunden.
Schmerz lässt sich objektiv messen, z. B. mithilfe bestimmter Biomarker wie Prostaglandine oder Cortisol. Für den Alltag im Stall sind diese Methoden allerdings wenig praktikabel und zu teuer. Hier komme es laut Dr. Feist vor allem auf eine gute Tierbeobachtung, Einfühlungsvermögen und auf etwas Erfahrung und Zeit an. „Damit können Rinderhalter schon milde Schmerzsymptome frühzeitig erkennen“, ist die Expertin überzeugt. Hilfreich könnten dabei spezifische Verhaltens-Scores sein, wie z. B. bei einer auftretenden Lahmheit.
Unspezifische Schmerzanzeichen
Ein erstes Anzeichen, dass mit dem Tier etwas nicht stimmt, ist, wenn es nicht frisst und apathisch-traurig wirkt. „Man hat den Eindruck, das Tier schaut in sich hinein“, verdeutlicht Dr. Feist. Das sogenannte „Schmerzgesicht“ ist ein wichtiger Hinweis auf Schmerzen: Um die Augen zeigt sich eine stärkere Fältelung als normal, vor allem am Oberlid. Um die Mundwinkel bilden sich Falten. Die Nasenöffnungen sind verspannt geöffnet und werden oft nicht sauber geleckt. Die Ohren hängen schlaff herunter wie bei einem Lamm oder werden gespannt nach hinten unten gehalten.
Welches Schmerzmittel wählen?
Die positive Wirkung einer Schmerzmittelgabe zur Vermeidung und Linderung von Schmerzen – sog. nicht-steroidale Antiphlogistika, NSAID – ist unter Tierärzten unumstritten. In vielen Fällen sei bereits die alleinige Gabe des Schmerzmittels förderlich für die Heilung. Leistungseinbrüche sowie schädliche Einflüsse, z.B. auf das Immunsystem des Tieres würden verringert oder gar verhindert. Von den zugelassenen Schmerzmitteln und Entzündungshemmern wirken manche mehr in Richtung Entzündungshemmung, manche stärker fiebersenkend und schmerzlindernd. Ketoprofen wird z. B. häufig bei lahmheitsbedingten Schmerzen eingesetzt. Metamizol lindert kurzfristig kolikartige Schmerzen. Bei Fieber oder Sepsis geben Tierärzte oft Meloxicam oder Flunixin den Vorzug. Meloxicam wird bei Mastitiden häufig eingesetzt.
„Natürlich muss man auch den Einsatz von Schmerzmitteln kritisch prüfen. Eine sorgfältige Diagnose und Prognose des Krankheitsverlaufs durch den Tierarzt müssen in jedem Falle vorangehen“, betont Dr. Melanie Feist. Sie empfiehlt Schmerzmittel nicht länger als sieben Tage zu verabreichen. Wenn keine Besserung eintritt, muss die Behandlung überprüft werden. Eine intensive Beobachtung durch den Tierhalter und Kontrolle durch den Tierarzt sind unerlässlich.
Die Haare sind häufig stumpf und werden kurzfristig aufgeplustert. Wenn das Tier das Maul am Trog aufsetzt bzw. anpresst oder mit dem Schwanz schlägt, kann das ein Hinweis auf Schmerzen sein. Frisst es aufgrund von Schmerzen nicht, wird der Pansen leer, schließlich magern sie ab, die Milchleistung geht plötzlich oder bei chronischen Schmerzen langsam zurück. Tiere mit Schmerzen im Bewegungsapparat liegen oder stehen länger, aber bewegen sich insgesamt weniger. Hinzukommen eine erhöhte Herz- und Atemfrequenz sowie eine recht flache Atmung. Erst wenn ein Rind starke Schmerzen hat, beginnt es, zu ächzen, zu stöhnen, mit den Zähnen zu knirschen oder zu brüllen. Kranke Tiere haben weniger Kontakt zur Gruppe und möglichweise bereits an Rang in der Herde verloren. Ihr Kontaktverhalten zu anderen ist deutlich reduziert. Kälber mit Schmerzen, z. B. nach der Enthornung, sind unruhig, schütteln häufig Ohren und Kopf, schlagen mit Hinterhand und Schwanz, laufen rückwärts oder scheuern sich am Kopf.
Spezifische Schmerzanzeichen
Zu den spezifischen und einfach zu erkennenden Schmerzanzeichen gehört die Lahmheit, die direkt auf Schmerzen im Bewegungsapparat hinweist. Ein gekrümmter Rücken ist ebenfalls ein Hinweis auf die Schonhaltung einer Gliedmaße. Lahmende Kühe zeigen zudem oft ein pferdeartiges Aufstehen.
Nimmt ein männliches Rind wiederholt eine sägebockartige Körperhaltung ein und kann keinen Harn absetzen, leidet es möglicherweise an einem schmerzhaften Harnröhrenverschluss. Kälber mit bakterieller Meningitis (Hirnhautentzündung) oder einer Kochsalzvergiftung pressen z. B. häufig Kopf oder Maul an die Boxenwand. Sie wollen so den Schmerz wegdrücken. Einige zeigen Krampfanfälle. Leichte Koliksymptome äußern sich mit „in die Knie gehen“, zeitweisem Trippeln und leiser Unruhe.
Wie Schmerzen vermeiden?
„Unbehandelte Schmerzen müssen nicht sein“, meint Dr. Feist. Mit einer umfassenden Krankheitsprophylaxe legt man die Grundlage dafür. Vermeiden lassen sich chronische Schmerzen zudem durch eine frühe Erkennung und Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankung. Schon bei leichten Schmerzen sind Schmerzmittel zu empfehlen (Übersicht). Bei der Enthornung ist zusätzlich zu Schmerzmittel und Sedierung, eine Lokalanästhesie – wie im neuen Tierschutzgesetz geplant – die wirkungsvollste Schmerzbehandlung. Bei Klauenerkrankungen helfen neben Klauenpflege und Behandlung Schutz- oder Polsterverbände. Klauenklötze entlasten und lindern den Schmerz. Unterstützend wirken Maßnahmen, wie z. B. mehr Komfort für die kranken Tiere.
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