Die Holstein-Herde von Gerd Wemken (Schwanewede, Niedersachsen) ist bekannt für leistungs- und typstarke Kühe, die ihre Genetik über Söhne im Stationseinsatz oder als Deckbullen auch überbetrieblich weitergeben. Pro Jahr verkauft der Holstein-Züchter im Schnitt ein bis zwei Bullen an Besamungsstationen und etwa 50 Deckbullen ab Hof. Auch seine weiblichen Tiere sind gefragt. So liegt es nahe, dass im Betrieb auch die Technologie des Embryotransfers genutzt wird.
In seiner Zuchtstrategie setzt Gerd Wemken auf der väterlichen Seite bereits seit vielen Jahren zu über 90 % genomische Bullen ein. In der Auswahl der jungen Zuchtbullen achtet er besonders darauf, dass sie ausgewogen sind und dabei eben keinerlei Schwächen in den funktionellen Merkmalen aufweisen. „Ich möchte mit unproblematischen Kühe arbeiten“, beschreibt Gerd Wemken sein oberstes Zuchtziel. Und durch die Teilnahme am Genotypisierungs-Projekt Kuhvision seit 2017 auch die eigenen weiblichen Tiere auf ihren genetischen Zuchtwert untersuchen zu lassen, sieht er den Zuchtfortschritt für seine Herde noch einmal beschleunigt.
In diesem Artikel erfahren Sie, wie Gerd Wemken die genetischen Informationen seiner weiblichen Tiere in der praktischen züchterischen Arbeit, aber auch im allgemeinen Umgang mit den Rindern und Kühen, nutzt.
Informationen zur Holstein-Herde von Gerd Wemken:
Selektion nach dem betriebsindividuellen Gesamtzuchtwert
Gerd Wemken lässt sich die genomischen Zuchtwerte für Selektionsentscheidungen bei den weiblichen Tieren nach einem individuell zusammengestellten Gesamtzuchtwert sortieren. In seinem Betriebsindex werden zu je 20 Prozent die Merkmale Milchmenge, Milcheiweiß, RZS und RZN sowie zu je 10 Prozent die Kalbemerkmale (Verlauf und Totgeburten) maternal und direkt berücksichtigt. Das erlaubt es ihm, besser als mit dem allgemeinen RZG sein betriebsindividuelles Zuchtziel zu verfolgen.
Im Betrieb werden alle weiblichen Kälber aufgezogen. Heißt, selektiert wird die weibliche Nachzucht hier in der Regel erst nach deren ersten Abkalbung. "Dabei richten wir uns aber nicht allein nach dem Zuchtwert. Über das Behalten oder Verkaufen entscheidet auch, was wir gerade zur Bestandsergänzung benötigen. So wird dann gegebenenfalls auch mal eine nicht so gute Färse behalten", erklärt Gerd Wemken. "Bei der Selektion zu diesem Zeitpunkt hat das Aussehen der Färsen und dabei insbesondere ihre Entwicklung, das Euter und die Melkbarkeit für uns einen höheren Einfluss als der Zuchtwert."
Noch wirtschaftlicher gedacht wäre es in den Augen von Gerd Wemken aber wohl, wenn man z.B. tragende Rinder mit einem RZS unter 96 Punkten bereits vor dem Abkalben abgeben würde. "Das würde die Entscheidung einfacher machen. Hat dieses Tier als Färse schließlich vielleicht eine hohe Milchleistung und sieht klasse aus, dann fällt es mir doch schwer, sie aus dem Bestand zu nehmen." Denn unter anderem bemerkt Gerd Wemken hier die in den Zuchtwerten vorhergesagten Merkmale auch in der Wirklichkeit: Tiere mit einem schlechten RZS zeigen bereits in der ersten Milchkontrolle oft tatsächlich auch die höheren Zellzahlgehalte.
Nur die Top-Tiere besamen
Bis auf bei den höchsten genomischen Kälbern (gRZG über 160; ggf. schon als Jungrind spülen) kommen die genomischen Zuchtwerte erst bei der für die erste Belegung zu treffenden Entscheidung zum Tragen. Hier konzentriert sich Gerd Wemken meistens allein auf den genomischen Zuchtwert des jungen Rindes: Nach Möglichkeit werden nur die Rinder mit einem RZG über 125 besamt. Tiere mit einem RZG unter 125 bekommen einen Embryo. Dabei beginnt Gerd Wemken mittlerweile damit, sich vor der Übertragung eines Embryos auch die genomischen Zuchtwerte für die maternalen Kalbemerkmale des potenziellen Trägertieres anzuschauen. "Wir können durchaus im Alltag beobachten, dass Färsen, die schwieriger Kalben, tatsächlich auch unterdurchschnittliche Zuchtwerte im entsprechenden genomischen Zuchtwert aufweisen," erklärt er. "Sich den Zuchtwert vor dem Kalbetermin noch einmal anzuschauen, kann im besten Fall helfen, eine Schwergeburt schneller zu erkennen. Wir können den Kalbeverlauf dieses Tieres genauer beobachten, um rechtzeitig Geburtshilfe leisten zu können." Die genomischen Zuchtwerte sind für die praktische tägliche Arbeit mit den Tieren also auch eine Art Frühwarnsystem für Gerd Wemken.
Das Aussehen des Rindes versucht Gerd Wemken für die Besamungsentscheidung möglichst auszublenden, obwohl er genau weiß, wie das jeweilige Tier hinter der Nummer aussieht. Denn wenn ihm das Tier im Phänotyp nicht gefällt, dann bekommt es auch trotz akzeptabel gutem genomischen Zuchtwert einen Embryo übertragen. Die Sicherheit der genomischen Zuchtwerte ist mit 70 Prozent größer als jegliche andere Entscheidungsgrundlage zu diesem Zeitpunkt. Dennoch bleiben noch 30 Prozent als Unbekannte übrig, von denen sich durch einen geübten Blick für das Rind vielleicht noch das ein oder andere auffangen lässt.
Bei den Kühen entscheidet Gerd Wemken nicht immer nach dem Zuchtwert. Hier beeinflussen natürlich die tatsächliche Eigenleistung und das Aussehen (Phänotyp) die Wahl. Aufgrund der Tatsache, dass er pro Woche einen Deckbullen verkauft, muss er bei der täglichen Entscheidung, welche Kühe wie besamt werden, auch seine Aufzuchtplätze berücksichtigen und das Angebot an Deckbullen sicherstellen. Das kann in der Praxis bedeuten: "Wenn viele Kühe an einem Tag besamt werden müssen, also sechs oder sieben Stück, dann bekommen die schlechtesten eine Fleischrasse-Portion, damit wir später genügend Aufzuchtplätze haben." Über das Jahr gesehen liegt der Anteil an Fleischrassebesamungen jedoch nur zwischen 5 bis 10 Prozent.
Bullenauswahl erfolgt jetzt gezielter
Bei der Auswahl der Besamungsbullen entsprechend seines Zuchtziels ist Gerd Wemken sich absolut sicher. Optimierungspotential für das Erreichen des bestmöglichen Zuchtfortschrittes sieht er bei sich im Betrieb allerdings noch bei der Planung des Spermaeinkaufs. "Zur Zeit haben wir noch zu viele Bullen im Kessel. Das sollte man deutlich reduzieren, damit man immer auf dem aktuellen Stand ist", sagt er. "Normal wäre es richtig, alle vier Monate und auch nur für vier Monate ausreichend einzukaufen. Eben immer nach den Ergebnissen der neuen Zuchtwertschätzung".
Die Kosten spielen sich wieder ein
Gerd Wemken arbeitete von Anfang an mit den genomischen Zuchtwerten seiner weiblichen Tiere, sodass er gut beobachten kann, wie die Tiere dann im realen Zuchtwert dastehen. Einen Vorteil sieht er dabei ganz klar. Diesen tatsächlich zu berechnen, ist allerdings schwierig. Auch, weil sich die Jahrgänge eben übergreifen. "Ich denke aber, dass der erzielte Zuchtfortschritt die Kosten der Genotypisierung deckt", sagt er und überschlägt: Bei 200 Kühen fallen ca. 100 weibliche Kälber zur Typisierung an. Diese typisieren zu lassen kostet bei 30 € pro Untersuchung ungefähr 3.000 € pro Jahr. Wenn man durch die Anwendung der Daten später in diesem Jahrgang allein z.B. weniger Euterbehandlungen hat, weil man eben auf Eutergesundheit selektiert oder eine Schwergeburt vermeiden kann (mit Arbeitszeit und Tierarzteinsatz schnell 100 bis 200 €), dann ist das für Gerd Wemken in jedem Fall ein Vorteil. "Außerdem macht es einfach mehr Spaß mit unkomplizierten Tieren zu arbeiten", findet er.
So ist es für Gerd Wemken ein Vorteil, sich durch die frühen Zuchtwerte bei der Selektion der Tiere doch mit einer hohen Sicherheit eher für die bessere Kuh in Sachen Wirtschaftlichkeit entscheiden zu können. "Das 'Auge des Herrn' ist für mich aber immer noch das Wichtigste", weiß er die Effekte der Umwelteinflüsse und des Zufalls in der Zucht durchaus immer im Kopf zu haben.
Tipp: Einfach mal anfangen
Als Rat an andere Milchkuhhalter gibt der erfahrene Anwender von Genomics, dass sie keine Angst haben mögen vor der Typisierung ihrer weiblichen Tiere. "Wenn man damit anfängt, gibt es einmal einen Schnitt darüber, welche Kühe tatsächlich genetisch zum eigenen Zuchtziel passen und welche einen scheinbar bisher doch eher durch andere Merkmale überzeugt haben", beschreibt er. "Dabei ist meine Erfahrung, dass viele der Kühe auch genetisch das zeigen, was ich im Stall an ihnen sehe". Und was das Schöne ist: Gerade unscheinbare Kühe testen oft genomisch sehr gut. Das kann auch Gerd Wemken bestätigen. Nur wer eine gute Milchleistung zeigt, gesund und fruchtbar ist, fällt im Stallalltag weniger auf, als Kühe, die hier schwächeln. Damit zeigt sich doch, dass die Genotypisierungsdaten einfach ein gutes Hilfsmittel sein können, um dem Zuchtziel leistungsstarker, gesunder und unkomplizierter Kühe näher zu kommen.