Mehr Milch und weniger Kälber durch verlängerte Laktationen! Milcherzeuger Herbert Te Selle zeigt, dass das auch ohne flache Laktationskurven funktioniert.
Flache Laktationskurven sind gerne gesehen, wenn es um verlängerte Laktationen geht. Der 39-jährige Milcherzeuger Herbert Te Selle aus den Niederlanden teilt diese Einstellung nicht. „Erreicht eine Kuh einen Leistungspeak von 70 kg Milch, habe ich es nicht eilig, sie wieder zu besamen“, argumentiert er.
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Flache Laktationskurven sind gerne gesehen, wenn es um verlängerte Laktationen geht. Der 39-jährige Milcherzeuger Herbert Te Selle aus den Niederlanden teilt diese Einstellung nicht. „Erreicht eine Kuh einen Leistungspeak von 70 kg Milch, habe ich es nicht eilig, sie wieder zu besamen“, argumentiert er.
Herbert und Bennie Te Selle.
(Bildquelle: Beerling )
Zwei Kameras und bestes Heu für die Nachzucht
In dem 2015 erbauten Liegeboxenstall von Familie Te Selle übernehmen zwei Lely A4-Melkroboter das Melken. Hinter den Melkrobotern befindet sich eine Abkalbebox mit Tiefstrohbereich. Über zwei Kameras, die mit seinem Smartphone verbunden sind, hat Herbert Te Selle diesen Bereich immer im Auge. Bei rund 20 bis 30% der Kalbungen leistet er Geburtshilfe, der Rest klappt in der Regel ohne Unterstützung. Das ist auch sein Ziel!
Genau wie die Versorgung des Kalbes mit vier Liter Kolostrum (Drenchen) innerhalb der ersten vier Stunden nach dem Abkalben. Das gelingt fast immer – vor allem dank der Kameraüberwachung. Die Kälber bleiben anderthalb bis zwei Stunden mit der Kuh im Strohbereich. Sobald das Kalb trocken ist, kommt es in ein Iglu bzw. in eine Einzelbox.
Im Winter kommen die Kälber zuerst unter eine Wärmelampe und bekommen anschließend eine Decke. Bis zum Alter von neun Monaten erhalten sie Pellets und Heu vom ersten Schnitt. Jedes Jahr lässt Herbert Te Selle speziell für die Kälber einen Teil Heu des ersten Schnitts übrig, bis er Ende Mai/Anfang Juni wieder Heu macht.
Im Alter von neun Monaten ziehen die Kälber in den Jungviehstall um, in dessen Gebäude auch die trockenstehenden Kühe untergebracht sind. Die Jungrinder erhalten eine Mischration aus 50% Häckselstroh, 50% Grassilage und einem Kilogramm Getreidemehl.
Betriebsspiegel:
110 Milchkühe, 80 Jungtiere
Ø 12.660 kg Milch Laktationsleistung
Ø 37.854 kg Milch Lebensleistung
Ø 430 Tage Zwischenkalbezeit
Ø 22 Monate Erstkalbealter
60 Hektar Pachtfläche, maximal drei Kilometer vom Betrieb entfernt
Winterswijk-Ratum (Niederlande, in der Nähe von Südlohn, NRW)
Transponder für Trockensteher und hochtragende Färsen
Die Färsen im Betrieb Te Selle kalben in der Regel im Alter von einem Jahr und zehn Monaten zum ersten Mal. Mit rund dreizehn Monaten werden sie also besamt. Zwei bis drei Monate vor dem Abkalben wechseln sie in die Gruppe der trockenstehenden Kühe auf der anderen Seite des Futtertisches. Dort fressen sie eine Ration aus jeweils einem Drittel Grassilage, Maissilage und Stroh. Zudem gehören Mineralfutter und Rapsschrot in die Ration. Ab drei Wochen vor dem Abkalbetermin erhalten Kühe und hochtragende Färsen zudem 2,5 bis 3kg Kraftfutter über eine Transponderstation.
Ziel ist eine Trockenstehphase von sechs Wochen. Kühen mit einer Produktion von mehr als 25 Litern wird in der ersten Woche des Trockenstehens einmal täglich Zugang zum Roboter gewährt. Durch die Trockensteher-Ration sinkt die Milchleistung innerhalb einer Woche auf nur noch 15 Liter. Das ist gut für die Eutergesundheit! Kühe mit einer somatischen Zellzahl von weniger als 50.000 Zellen pro ml Milch erhalten einen Zitzenversiegler, bei über 50.000 Zellen einen antibiotischen Trockensteller.
Die Tankzellgehalt schwankt in der Regel zwischen 100.000 und 180.000 Zellen. Abgesehen vom Trockenstellen behandelt Herbert Te Selle die Kühe nie aufgrund einer erhöhten Zellzahl. Er hat die Mastitiserreger in seiner Herde nicht im Detail untersucht. Mit der durchschnittlichen Zellzahl sind sie zufrieden, außerdem seien Analysen und Behandlungen teuer, so Vater Bennie und Sohn Herbert.
Trockensteher und hochtragende Jungrinder sind gemeinsam aufgestallt und verfügen über eine Transponderstation.
(Bildquelle: Hilbk-Kortenbruck)
Wiederkau-Überwachung vor allem bei Frischmelkern
Der dreireihige Boxenlaufstall bietet 100 Fressgitter-Plätze und 130 Tiefboxen für die Laktierenden. Die Melkroboter sind am Ende des Stalls positioniert, an das der alte Stall grenzt, in dem die Trockensteher stehen. Dank der Ausstattung eines Roboters mit „Split-Entry“ kann Herbert Te Selle nicht nur die Kühe aus dem Strohstall sondern auch nachzutreibende Kühe aus der Herde in einem Wartebereich festsetzen.
Alle Milchkühe tragen eine Aktivitätsmessung. Herbert Te Selle achtet vor allem auf das Wiederkauverhalten frisch abgekalbter Kühe. Ist das in Ordnung, reduziert er den Aufmerksamkeitswert für die betreffende Kuh. Auf Herdenebene nutzt der Milcherzeuger die Überwachung nur für kleine Anpassungen. „Die Abweichungen sind minimal, davon kann man nicht viel lesen“, erklärt er. Dennoch passt er manchmal die Kraftfuttermengen am Roboter oder die Struktur der Teil-TMR je nach durchschnittlicher Wiederkauaktivität der Herde an.
Viel Platz (beinahe Unterbelegung) sorgen für Komfort und Ruhe im Stall.
(Bildquelle: Hilbk-Kortenbruck )
„Dauermelker in spe“
Aktuell zählt Herbert Te Selle vier 100.000 Liter-Kühe in seiner Herde. Insgesamt haben schon 17 Kühe den Meilenstein bei ihnen erreicht. Die durchschnittliche Lebensleistung liegt derzeit bei 37.854 kg Milch. „Das ist nicht so viel", meint der Milcherzeuger. „Das ist zum Teil eine Folge des Phosphatproblems in den Niederlanden. Auch um die eigene Nachzucht einzustallen, sind viele Kühe früher abgegangen."
In den letzten zwölf Monaten hat er sich von insgesamt 21% seiner Herde verabschiedet und 20 Tiere sind dazugekommen. Die derzeit lebende Herde von Te Selle ist im Durchschnitt vier Jahre und neun Monate alt und weist eine Lebensleistung von 34.479 kg Milch auf. Die durchschnittliche Lebenstagsleistung liegt bei 19,9 kg Milch.
Zurzeit stehen rund 80 Jungrinder auf dem Betrieb. Für die Zukunft sind rund 130 Milchkühe und 60 Jungrinder das Ziel. Die Zwischenkalbezeit ist für den Betriebsleiter keine Zahl mehr, auf die er sich konzentriert. In seinen Augen kann sich das Kalbe-Intervall ruhig verlängern: „Weniger Kalbungen bedeuten weniger Risiko.“
Ein Teil der Jungrinder verbingt den Sommer auf der Weide. Im Winter stehen sie in demselben Gebäude wie die Trockensteher.
(Bildquelle: Hilbk-Kortenbruck )
Hoher Leistungspeak = gute Persistenz
Trotz längerer Zwischenkalbezeit erreichen viele Kühe eine deutlichen Peakleistung. „Gibt eine Kuh 70 kg Milch, lasse ich mir Zeit, sie erneut zu besamen“, erklärt er. Herbert Te Selles Bild einer anhaltenden Laktationskurve sieht daher anders aus. Neben der bewusst verlängerten freiwilligen Wartezeit wirkt sich auch die Jahreszeit auf das Kalbeintervall aus. Denn in Winterswijk werden so wenig Kühe wie möglich im Oktober und November besamt, um zu verhindern, dass sie im Juli und August kalben und bei Hitze in die Laktation starten.
Ich besame möglichst wenig Kühe im Oktober und November, damit sie nicht bei extremer Hitze im Juli und August in die Laktation starten müssen.
Herbert Te Selle
Oft hat Herbert Te Selle die brünstige Kuh schon gesehen, bevor sie per Aktivitätsmessung angezeigt wird. Diese Kühe werden über das AMS in einen Separationsbereich geleitet und dort vom Betriebsleiter selbst besamt. Im Durchschnitt benötigt er 2,11 Besamungen pro Trächtigkeit. Da er weniger weibliche Nachzucht benötigt, setzt er zunehmend männlich gesextes Sperma von töchtergeprüften Weißblauen Belgiern ein. Angst vor schweren Kalbungen hat er dabei nicht: Er züchtet rahmige, breite Kühe, die durch die angepasste Trockensteherfütterung in der Regel nicht verfetten. „Keine fetten Kühen bedeutet keine fetten Kälber“, sagt Herbert Te Selle. „Außerdem können sich die Kühe in der Abkalbebox frei hinlegen und ich kann sie gut im Auge behalten.“
Ob eine Kuh grundsätzlich wieder besamt wird, entscheidet Te Selle nach der Frage, ob die Kuh ohne Probleme wieder kalben und eine weitere Laktation durchhalten kann. „Eine Kuh, die gesund abgeht, bringt immer noch 1.200 Euro ein“, begründet der Betriebsleiter seine Entscheidung, eine Kuh im Zweifel lieber gesund abzumelken.
Der Strohbereich grenzt direkt an einen Separationsbereich. Beide Bereiche haben Zugang zum AMS.
(Bildquelle: Hilbk-Kortenbruck )
A2A2-Bullen und ein Deckbulle für Jungrinder
Um die vorhandenen Weideflächen zu nutzen, verbringt ein Teil der der Jungrinder den Sommer auf der Weide. Da er zunehmend mehr Milchkühe und weniger hält, reicht es nicht mehr aus, nur trächtige Färsen zu weiden. Deshalb hat er für die Besamungsrinder einen Deckbullen von seinem Züchterkollegen De Bruin zugekauft. „Ein Doorman aus einer Lauthority mit 92 Punkten", fügt der Betriebsleiter hinzu. Herbert Te Selle ist leidenschaftlicher Züchter und nimmt gerne an Schauen teil. Das haben bereits sein Großvater und sein Vater gemacht und auch eines seiner Kinder nimmt schon an Jungzüchterwettbewerben teil.
Herbert Te Selle setzt neben dem Deckbullen nur Bullen ein, die das A2A2-Gen vererben. Außerdem stehen gute Euter und eine korrekte Oberlinie ganz oben auf seiner Liste. Er behält die Triple A-Merkmale im Auge, dennoch entscheidet er über die Anpaarung individuell nach seinen eigenen Erkenntnissen. Die ideale Te Selle-Kuh hat eine breite Vorhand, viel Körpertiefe und eine gute Balance zwischen beiden. Große, rahmige Kühe also. Zudem setzt er gerne auch rotbunte Bullen oder Bullen mit Rotfaktor ein. „Ich mag Rotbunt und versuche, es zu behalten", betont er.
Die ideale Te Selle-Kuh hat eine breite Vorhand, viel Körpertiefe und eine gute Balance zwischen beiden.
(Bildquelle: Hilbk-Kortembruck )
Weitere Erfolgsfaktoren:
Grundfutter: Die Laktierenden verbleiben dauerhaft in einer Fütterungsgruppe und erhalten daher alle die gleiche Ration am Trog. Die Grundration besteht zu 50% aus Silomais und 50% aus Grassilage. Die Grassilage wird auf 4cm gehäckselt und soll einen Trockenmassegehalt von 45 bis 50% aufweisen. Den ersten und zweiten Schnitt füttern die gleichzeitig. In der Regel wird Ende April oder Anfang Mai zum ersten Mal geschnitten. Anschließend rund alle vier Wochen bis Ende Oktober.
Klauenpflege: Der Klauenpfleger kommt alle sechs Wochen auf den Betrieb. „Ab 6 Uhr morgens fange ich an, die Kühe zu selektieren", erklärt Herbert Te Selle. Alle Kühe werden zwischen dem 80. und 120. Laktationstag und vor dem Trockenstellen ausgeschnitten. Es sind selten mehr als 25 Tiere pro Termin. So können sie die Anzahl der Melkvorgänge an diesem Tag auf einem guten Niveau halten.
Stallbau: Der Aufbau des Stalles mit zwei Robotern vor Kopf bietet effizientes Arbeiten. „Wenn ich einmal durchlaufe, habe ich alle Liegeboxen geharkt und nachzutreibende Kühe vor den Roboter getrieben", berichtet der Milcherzeuger. Normalerweise muss er zwei bis drei Kühe nachtreiben. Die durchschnittlichen Melkungen liegen derzeit bei 3,3 bis 3,4 pro Kuh und Tag, die Tagesleistung beträgt 37,4 kg mit 4,11% Fett und 3,48% Eiweiß (MLP September 2020).
Lightroof: Sowohl der Stall für die Jungrinder und Trockensteher als auch für die Laktierenden sind mit einem sogenannten „Lightroof“ ausgestattet: Lichtdurchlässige Hitzeschutzplatten 100, durch deren Anteil an Aluminiumpulver eine Erhitzung im Sommer vermieden wird. Das Lightroof wird kombiniert mit einer Querlüftung. Der Futtertisch befindet sich an der nach Norden gerichteten Außenwand. Die Luft wird von dieser Seite mit großen Ventilatoren über den Futtertisch in den gesamten Stall geblasen. Die Sonne steht nie auf der Nordseite, so dass immer kühle Luft hineingeblasen wird.
Tiefboxen: Die Liegeboxen sind mit Sägemehl eingestreut, das mit etwas Pferdemist gemischt wird. Die Boxen sind 115cm breit, im Trockensteherstall sind es 110cm, das reicht auch aus, wenn sie eine dicke und gute Matratze haben. Die Bugschwelle - ein Kunststoffrohr – hat Te Selle im Abstand von 220 cm zur Boxenkante platziert, statt wie üblich von 180 cm. Nach vorne begrenzt werden sollen sie daher vor allem durch die Einstreu: „Die Einstreu soll als Bugschwelle dienen, damit sie nicht von hartem Beton begrenzt werden.“ Deshalb sorgt er vor allem im vorderen Bereich der Liegebox für eine dicke Schicht Sägemehl, denn: „Die Kuh soll mit den Vorderbeinen vollständig darin liegen."