Elite Dairy Tour 2024

Holsteins durch Jerseys, Silage durch Heu ersetzt

Tobias Reiter aus dem Saarland hat in den vergangenen Jahren viele ungewöhnliche Entscheidungen getroffen, um das Optimum aus seinem Standort „rauszuholen“.

Der Nordwesten des Saarlandes, das Drei-Länder-Eck (Deutschland, Luxemburg und Frankreich) ist eigentlich kein benachteiligtes Gebiet, das milde Klima und die Mosel, die sich nordwärts in Richtung Rhein schlängelt, sorgen für ausreichend Grundwasser. Auf den angrenzenden Hügeln finden sich vergleichsweise (für die Saar-Hunsrück-Region) gute Bodenqualitäten. Die guten Standortbedingungen haben schon die alten Römer erkannt, sie haben sich dort vor rund  2.000 Jahren  niedergelassen. Aber dennoch ist es dort für Milcherzeuger derzeit gerade nicht einfach. Der Flächendruck ist enorm, nicht nur weil Landwirte aus dem nur wenige Kilometer entfernten Luxemburg gerne Flächen hier pachten, mittlerweile haben die meisten ehemaligen Vollerwerbsbetriebe auf Nebenerwerb umgestellt. Obwohl sie die Tierhaltung aufgegeben haben, bewirtschaften sie die (Grünland)Flächen in aller Regel weiter …. die unterschiedlichen Prämien aus den Naturschutz- und Umweltprogrammen sowie der Verkauf von Heu erlauben eine gute Verwertung der Flächen. Und Arbeitskräfte sind kaum noch zu finden, denn jeden/jede zieht es nach Luxemburg. Dort sind nicht nur die Verdienstmöglichkeiten besser, auch die soziale Absicherung fällt deutlich üppiger aus als im benachbarten Saarland.

Betriebsspiegel

  • 115 Jersey-Kühe mit Nachzucht
  • 7.100 kg Milch pro Kuh und Jahr mit 5,50 % Fett und 4,15 % Eiweiß; Zellzahl: 160.000/ml
  • 160 ha gesamt, davon 110 ha Grünland
  • 2,3 Ak

1974 ausgesiedelt und mehrmals erweitert

Unweit der ehemaligen römischen Siedlung an der Mosel in der Gemeinde Perl liegt der Milchkuhbetrieb der Familie Reiter. Beim Gang über die 1974 errichtete Hofstelle (Aussiedlung) mit Betriebsleiter Tobias Reiter (34) fallen uns direkt zwei große Hallen voller Rundballen und die vielen kleinen braunen Kühe auf. Im Gespräch stellt sich schnell heraus, dass auf dem Familienbetrieb in den vergangenen Jahren oftmals ungewöhnliche Entscheidungen getroffen wurden. Drei dieser Entscheidungen haben uns besonders nachhaltig beeindruckt:
  1. Der Austausch der sehr leistungsstarken Holsteins durch Jersey-Kühe
  2. Der Wechsel von Silage (Gras- und Mais) als Futterbasis auf Heu
  3. Der Start der Kälberaufzucht mit Ammenkühen
Doch der Reihe nach …

Jerseys statt Holsteins

Warum wechselt man eine Herde aus, wenn diese gut funktioniert, die Kühe im Herdendurchschnitt 11.000 kg Milch melken? „Diese Entscheidung haben wir nicht über Nacht getroffen“, erinnert sich Tobias Reiter. Mitte der neunziger Jahre stellte sich heraus, dass die großrahmigen Holsteins nicht mehr optimal in dem 1974 errichteten Boxenlaufstall zurechtkamen. Kurzerhand investierten Reiters 1998 in einen Anbau (Kuhstall) und funktionierten den „alten“ Kuhstall zum Jungviehstall um. Ein paar Jahre später wurde noch ein neuer Jungviehstall errichtet. Plötzlich kam dann die Idee auf, mit dem Verkauf von abgekalbten Färsen ein zweites betriebliches Standbein aufzubauen. Der Plan war, einen Teil der Rinder im alten Kuhstall unterzubringen. Die Holsteinherde „lief“ damals gut, die Arbeitsbelastung hielt sich auch dank eines Melkroboters (A3 next) in Grenzen. Doch dann sanken plötzlich die Preise für Zuchtvieh, die Aufzucht und der Verkauf von Färsen rechnete sich nicht mehr so richtig. Also entschieden sich die beiden Betriebsleiter um, reduzierten wieder den Jungviehbestand, kauften einen zweiten (gebrauchten) Melkroboter und stellten Kühe nach. So weit, so gut.

Gemolken werden die Kühe an zwei Melkrobotern. (Bildquelle: Veauthier)

Just zu dieser Zeit kaufte Tobias Reiter zwei Jersey-Kühe („ … nur aus Spaß“). Die beiden Tiere gefielen ihm so gut, dass schon bald fünf weitere hochtragende Jersey-Rinder auf der Hofstelle angeliefert wurden. Der Milcherzeuger erkannte schnell, dass die wesentlich kleinrahmigeren Tiere besser mit dem begrenzten Platzangebot in dem alten, 1974 errichteten Laufstall, zurecht kamen. „Da hab ich mir gedacht, machen wir doch halbe-halbe … 50 % Jersey und 50 % Holsteins“, erinnert sich Tobias Reiter. Die Jerseys an einem AMS im alten Stall, die Holsteins an die zweite Melkbox im „neuen“, geräumigeren Kuhstall. Doch die Jerseys wussten, wie sie den Betriebsleiter für sich einnehmen konnte. Sie präsentierten sich - im Vergleich zu den Holsteins – unkomplizierter, erforderten weniger Zuwendung.  
Die Jerseys passen einfach besser in unsere Ställe.
Tobias Reiter
Als  sich Tobias Reiter dann die Gelegenheit bot, eine kleine Herde von 30 Jersey-Kühen  zu übernehmen, war das Schicksaal der Holsteins endgültig besiegelt. Kurz darauf wurden dann nochmals 40 hochtragende Jersey-Rinder zugekauft. „Ich habe überhaupt nichts gegen die Holsteins“, erklärt Tobias Reiter, „ganz im Gegenteil, aber die Jerseys passen einfach besser in unsere Ställe.“ Die Alternative wäre gewesen, viel Geld in die Hand zu nehmen und umfangreich die Ställe umzubauen. Und dass sich der passionierte Züchter ja nicht von den Holsteins entliebt hat, zeigt seine Beteiligung an einem Holstein-Syndikat, das immer wieder genomisch sehr hochwertige Tiere hervorbringt.

Heu statt Silage

In den vergangenen Jahren hatten wir aufgrund der Trockenheit immer wieder Probleme, ausreichend Futter zu ernten … zudem haben sich die Silagen im Sommer ab und zu erwärmt, was letztlich vor allem die Eutergesundheit beeinträchtigt hat, berichtet Tobias. An einen Zukauf von Silage war nicht zu denken, denn in der Nachbarschaft ist ja auch kein Gras gewachsen. Da in der Region aber mittlerweile viele Nebenerwerbslandwirte Heu produzieren (wird oft nach Luxemburg, Belgien und ins Rheinland verkauft), erwarb auch Tobias Reiter Heu und stellte das Jungvieh kurzerhand auf eine Heu-Kraftfutter-Ration um. „Die Rinder sind so dermaßen gut herangewachsen, dass ich mir überlegt habe, zunächst einmal eine der beiden Kuhgruppen auf Heu umzustellen.“ Gesagt, getan … und es hat so gut funktioniert, dass jetzt alle Kühe Heu erhalten. Gras wird nur noch im Herbst einsiliert, wenn die Witterung keine Heuwerbung mehr zulässt. Die Silage wird später aber nur an die Rinder verfüttert. Mais wird zwar noch angebaut, aber nicht mehr einsiliert. „Ich denke wir werden den ab Feld verkaufen!“

Die Basis der Futterration sind 8 kg Heu pro Kuh und Tag. (Bildquelle: Veauthier)

Das produzierte Heu sei aber nicht zu vergleichen mit den guten Qualitäten aus Süddeutschland, gibt Reiter zu Bedenken. Es diene insbesondere als Pansenfüller und Strukturträger in der Teil-TMR. Die Futtermischung enthält denn neben 8 kg Heu noch weitere 8 kg Pressschnitzel und insgesamt 5 kg Getreide-/Mais-/Rapsschrot. Ab dem kommenden Herbst sollen Mais und Getreide durch Pressschnitzel ersetzt werden. „Die Schnitzel haben zwei Vorteile“, weiß Reiter, „sie sind enorm schmackhaft und verkleben die Ration, so dass die Kühe weniger selektieren können.“
Das Heu ermöglicht es, große Mengen Pressschnitzel zu füttern.
Tobias Reiter
Just in diesem Jahr, im ersten Jahr nach der Umstellung von Silage auf Heu, verlangte das feuchte Klima jedoch starke Nerven. Das Heu muss schließlich vier bis fünf Tage liegen, … solche Zeitfenster waren in diesem Frühjahr/Sommer rar. Deswegen entschied sich Reiter dazu, immer nur Teilflächen zu mähen. Hauptsache trocken, so dass sich das Gras in Rundballen pressen lässt ist hier die Devise, die Energiedichte rückt dabei in en Hintergrund (Ausgleich erfolgt über Pressschnitzel). Normalerweise wird das frisch gemähte Gras einmal „geworfen“ und zweimal „gedreht“, am Abend grundsätzlich zusammen geschwadet und am nächsten Morgen nochmals geworfen. Gepresst wird immer am Nachmittag. Viel Aufwand! „Aber Silage einzufahren, das war hier in diesem Frühjahr ja auch eine Herausforderung, Anfang Mai waren viele Flächen hier in der Umgebung gar nicht befahrbar. Wir hätten nur rund 30 % der Grasflächen zum optimalen Zeitpunkt ernten können“,  weiß der Milcherzeuger. Letztlich erstreckt sich die Heuernte über den gesamt Sommer, manche Flächen werden erst im Juli gemäht, so fallen auch bei anhaltender Trockenheit auch nur ein bis zwei Schnitte an.

20 Kälber an 10 Ammenkühen

In einer Halle entdecken wir plötzlich in einem großen Strohabteil kleine Kälber, die an Kühen saufen. Erstaunt fragen wir Tobias Reiter, was damit auf sich hat? Auch hier experimentiert der innovative Milcherzeuger … zehn Ammenkühe „leistet sich Reiter, diesen teilt er 20 Tränkekälber zu. „Das funktioniert klasse“, freut er sich, „die Kälber wachsen sehr ordentlich“. Auf die ungewöhnliche Idee gekommen ist Reiter, das es an Platz fehlte um all die neugeborenen Kälber vernünftig aufstallen zu können und weil der Milcherzeuger gerne Kühe, die aktuell gerade mal ein Problem haben, eine zweite Chance geben möchte. So nutzt er als Ammenkühe denn auch gerne Tiere, die mit dem AMS nicht zurecht kommen, Euterprobleme haben oder wegen anderer „Besonderheiten“ gerade nicht in die laktierende Herde passen. „An den Schlachter verkaufen kann ich die Tiere ja immer noch, aber wer weiß jetzt schon, ob sie nach der nächsten Kalbung ihre Chance nicht doch noch nutzen“, so die Argumentation des Betriebsleiters. Und überhaupt, warum nicht einfach mal ausprobieren … wer wisse denn heute schon, mit welchen Anforderungen oder Auflagen man als Milchproduzent in Zukunft noch so konfrontiert werde?

Zehn Ammenkühe „leistet“ sich Reiter, diesen teilt er 20 Tränkekälber zu. (Bildquelle: Veauthier)

Männliche Kälber werden acht Wochen aufgezogen

Ein Thema, dass ich bei Jersey’s immer wieder stellt, ist die Vermarktung der „leichten“ Kälber. Auch hierfür hat Reiter eine interessante Lösung gefunden: „Wir besamen grundsätzlich alle Rinder und Kühe weiblich gesext“, erläutert er. Tiere, die nicht sogleich tragen, werden mit Fleischbullen (Charolais, WB, Angus) besamt. „Die Kälber ziehen wir sechs bis acht Wochen auf, dann bringen wie auch 400 € im Durchschnitt. Das passt schon!“

Elite Dairy Tour 2024

Optimistisch auf Wachstumskurs

von Katrin Schiewer

Die Schwäbische Alb ist ein karger, kalter Standort. Martin Huber investiert hier dennoch hochmotiviert in die Milchproduktion – mit beeindruckenden Leistungen!

Das hat uns beeindruckt:

Innovatives Denken: Schon 1974 Jahren hat Tobias Reiters Großvater als einer der ersten Milcherzeuger im Saarland in einen Boxenlaufstall für 48 Kühe investiert, später hat auch sein Vater immer wieder ungewöhnliche Entscheidungen getroffen (u.a. Abschalten der KF-Abrufstation und Einführung der Voll TMR). Neues auszuprobieren hat auf dem Familienbetrieb eine gewisse Tradition..
Ein reflektierter Betriebsleiter: Tobias Reiter ist nicht impulsiv, er durchdenkt neue Projekte und prüft, ob sie seinem Unternehmenskonzept dienlich sind.
Kühe im Fokus: Als Milcherzeuger denkt er auch immer an seine Tiere. Deren Wohlergehen (Kuhkomfort) ist ihm wichtig. An den Details merkt man, dass die Kühe hier im Mittelpunkt stehen.

Erfolgsfaktoren im Stall

Eine ausgeklügelte Fütterung
Einfach und nicht zu teuer: Die gesamte melkende Herde erhält eine Ration auf Heubasis. Pressschnitzel bringen Energie in die Ration, Kraftfutter gibt’s im AMS.
Innovative Zuchtstrategie
Reiters Ziel sind ausbalancierte, langlebige Jersey-Kühe. In Zukunft sollen abwechselnd US-amerikanische und dänische Genetik zum Einsatz kommen, um Exterieur und Milch gleichermaßen zu stärken. Das Besamen mit gesextem Sperma bzw. die Belegung mit Fleischbullen (im Nachgang) erlaubt es, auch die Jersey-Kälber gewinnbringend zu Nutzen.
Zukunftsorientiert
Mit der Kälberaufzucht an Ammenkühen beschäftigt sich Tobias Reiter mit einem Zukunftsthema. Von seinen Erfahrungen werden sicherlich viele Berufskollegen profitieren können.

Die Sponsoren der Elite Dairy Tour 2024 (Bildquelle: Elite Magazin)

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