Im Gänsemarsch laufen die 66 Fleckvieh-Kühe hintereinander auf Christian Zimmermann zu. Zwei, drei Rufe reichen aus, um die Herde auf eine neue Weide zu locken. Zuletzt überquert die älteste Dame die Straße. Mit mittlerweile 13 Kälbern darf sie es auch etwas langsamer gehen lassen. Jedoch ist sie keine Ausnahme im Stall. Derzeit haben 31 Kühe fünf und mehr Kälber. Auch die Nutzungsdauer von rund 78 Monaten mit einer durchschnittlichen Lebensleistung von 38.928 kg Milch aller Abgangstiere zeigt, wie alt die Herde ist. Rein äußerlich lassen sich die wenigsten Kühe dieses Alter anmerken.
Der Hof von Familie Zimmermann liegt am Rande des Stadtteils Beerfelden, tief in Südhessen. Am Rande heißt, weitläufige Weideflächen auf der einen und ein enger Kontakt zu den Einwohnern auf der anderen Seite. Im Jahr 2010 hat der Betrieb auf eine biologische Milchproduktion umgestellt. „Wir waren noch nie besonders intensiv. Auf eine biologische Wirtschaftsweise umzustellen, hat für uns nur wenig verändert“, beschreibt er die Zeit. Bis jetzt hat er die Umstellung nicht bereut. Der Milchpreis ist relativ stabil, derzeit bekommen sie bei der Coburger Molkerei rund 47 Cent. Verkauft wird etwas ihrer Bio-Milch zudem über eine Milchtankstelle. Da der Hof in Dorfnähe gelegen ist und viele Bewohner die Kühe täglich auf der Weide sehen, kommen sie gerne zum „Milch tanken“ vorbei.
Viel Bewegung und weniger Milch
„Sie laufen bis zu fünf Kilometer am Tag“, erklärt Christian Zimmermann, was in seinen Augen ein Grund für die gute Fitness der Kühe ist. Waren sie gerade an einem Ende, sind sie nach kurzer Zeit schon am anderen Ende der Weidefläche. Einige suchen Äpfel, andere scheuern sich an vereinzelten Bäumen. Trotz reger Bewegung wirkt alles entspannt.
Die durchschnittliche Milchleistung der Herde liegt bei knapp 6.700 kg Milch. Mitte August befinden sich die Kühe im Mittel am 200. Laktationstag, bekommen täglich drei kg Kraftfutter und geben rund 24 Liter Milch. Und trotz des hohen Durchschnittsalters der Herde liegt der Zellgehalt im Durchschnitt der letzten zwölf Monate nur bei 94.000 Zellen. Die Eutergesundheit hat für Betriebsleiter Christian Zimmermann auch aufgrund der strengen Vorgaben für biologisch erzeugte Milch einen hohen Stellenwert. Sein ständiges Ziel: ein Zellgehalt von maximal 90.000 Zellen! Dabei setzt er so wenig Antibiotika wie möglich ein und greift häufiger auf homöopathische Mittel zurück. Antibiotische Trockensteller werden nur bei Bedarf viertelbezogen eingesetzt.
Und was ist das Geheimnis der vielen alten Kühe? Laut Christian Zimmermann kein großes! Er führt die Fitness und das Altwerden auf viel Bewegung, die Fütterung von viel Grundfutter und die eher geringe Milchleistung zurück. „Ob eine Einzelkuh 6.000 kg oder 8.000 kg Milch gibt, ist mir eigentlich schnuppe. Wichtiger ist, dass die Kuh in unser System passt und unkompliziert ist“, rechtfertigt er die Leistung seiner Herde. Außerdem erreichen immer wieder einige seiner Kühe Lebensleistungen von über 60.000 kg Milch.
„Unter unseren sehr extensiven Produktionsbedingungen setze ich unsere 60.000 bis 70.000 Liter-Kühe durchaus mit 100.000 Liter-Kühen im konventionellen System gleich“, sagt der Betriebsleiter stolz.
Standort- und stoffwechselangepasst
Fast die Hälfte der 60 ha Grünland liegen in direkter Hofnähe. So haben die Kühe von den meisten Weideflächen freien Zugang zum Stall. Je nach Bodenfeuchte geht die Herde bereits ab Anfang März stundenweise auf die Weide. Ab Mitte April sind die Kühe in der Regel auf Vollweide umgestellt. Christian Zimmermann versucht, im Frühjahr möglichst viele Flächen zu beweiden, um die Grasnarbe durch den Biss zu fördern. Zu Beginn hat er den Aufwuchs immer gemessen, um die Weidefläche anzupassen (Kurzrasenweide).
ittlerweile kann er den Ertrag gut abschätzen. Seine Devise lautet dabei: „Kühe müssen auf das Gras, nicht in das Gras!“ Mit stärkerem Wachstum ab April nutzt er dann mehr Flächen zum Silieren. Ziel sind vier Schnitte im Jahr. Der erste und zweite Schnitt wird in einem Fahrsilo gelagert und ist für die Winterfütterung reserviert. Spätere Schnitte in Rundballen nutzt er, um die Kühe im Sommer teilweise zuzufüttern. In guten Jahren ist aber sein Ziel, bis Anfang September ohne Zufütterung auszukommen. Neben dem Weidegras bekommen die Kühe dann maximal 3 kg aus Kraftfutter (im Melkstand) und Getreideschrot (am Futtertisch). Nur bei schlechter Witterung, Futterknappheit wie im letzten Jahr und spätestens im Herbst wird im Stall zugefüttert. Spätestens Mitte November ist die Herde eingestallt.
Zu diesem Zeitpunkt stehen viele Kühe trocken, da alle Kühe und Färsen zwischen November und März abkalben. Neben der Arbeitsersparnis ist vor allem die Stoffwechselstabilität ein bedeutender Grund für das System Blockabkalbung. Denn: Auf diese Weise verbringen die Kühe ihre Frühlaktation im Stall. Dort werden sie intensiver gefüttert, sind weniger Witterungsschwankungen ausgesetzt und können besser kontrolliert werden. Zum Weideaustrieb im März ist ihr Stoffwechsel weitestgehend stabil. Aber auch abgesehen vom Management sieht er die Stoffwechselgesundheit als großen Vorteil der Rasse Fleckvieh: „Besonders Fleckvieh-Kühe können ihre Milchleistung gut an die Futtergrundlage anpassen.“
Dass die Kühe gegen Ende des Sommers nur noch wenig Milch geben, merkt man auch an ihrem gemächlichen Gang zum Melken. Im Oktober und November werden nur noch wenige Tiere gemolken. Die trockenen Kühe sind im Winter zusammen mit hochtragenden Färsen im hinteren Teil des Stalles aufgestallt. Wenn sie abgekalbt haben, rutschen sie dann in die melkende Gruppe vor.
Einfach, aber komfortabel
Im Gegensatz zum grellen Sonnenlicht draußen wirkt der leere Stall sehr schattig und angenehm kühl. Es ist fast schade, dass der Stall zumindest im Sommer kaum genutzt wird. Nur morgens gegen sieben und abends gegen 17.00 Uhr kommen die Kühe hierher, wo sie in einem doppelsechser Fischgräten-Melkstand gemolken werden. Der Kuhstall ist aus einer zuvor ungenutzten Halle entstanden und wurde von Beginn gemäß den Bio-Anforderungen ausgestattet. Die Kühe verfügen über viel Platz, große, saubere Tiefboxen und planbefestigte Laufgänge. Die neueste Baumaßnahme sind Kuhduschen im Stall und im Melkstand. Neben der Abkühlung für die Kühe ist die Beregnung besonders hilfreich, um den Mückenbefall beim Melken zu reduzieren und die Laufgänge zu reinigen.
Auch der Futtermischwagen sieht im Sommer unberührt aus. Nur im Winter wird den Kühen eine Mischration aus Grassilage und Luzerneheu vorgelegt. Da sich die meisten Kühe zu der Zeit in der Frühlaktation befinden, bekommen sie bis zu sechs Kilogramm Kraftfutter am Tag. Angepasst an den jeweiligen Laktationsstand erhält eine Kuh somit zwischen 800 und maximal 1.000 kg Kraftfutter pro Jahr. Bei diesem „Low Input“-System möchte Christian Zimmermann bleiben. Eine intensivere Fütterung würde neben höheren Futterkosten auch mehr Kraftstoffverbrauch und mehr Arbeit bedeuten. Aktuell kostet ihn ein Liter Milch aus Weidegras vier bis fünf Cent.
Die Fleckviehherde ist außerdem komplett „schmuckfrei“, d.h. es gibt weder Halsbänder noch Sensoren. Christian Zimmermann kennt seine Kühe und managt alles über sein Auge. Auch akute Lahmheiten behandelt er selbst. Zudem kommt einmal jährlich ein Klauenpfleger. Weil die Kühe viel laufen müssen, sind gesunde Klauen sehr wichtig.
Selektion auf Hornlosigkeit
Drei kleine Bullenkälber sind derzeit die einzigen Bewohner im großen Kuhstall. Die „Nachzügler“ werden noch getränkt und demnächst verkauft. Da er für die Remontierung der eigenen Herde sehr wenige Kälber benötigt und die Aufzucht teuer ist, behält Christian Zimmermann jährlich nur die ersten 15 bis 20 weiblichen Kälber. Von diesen wird wiederum rund die Hälfte später abgekalbt ab Hof verkauft. Die restlichen Kälber werden mit drei bis fünf Wochen zur Zucht oder Mast verkauft. „Das wichtigste Selektionskriterium ist der Hornstatus“, sagt Christian. Er möchte auf Dauer eine komplett hornlose Herde haben. Bisher ist fast ein Drittel seiner Kühe bereits hornlos. Der Hintergrund: Der Aufwand und die Kosten für die Enthornung sind besonders bei den Auflagen der biologischen Milchkuhhaltung zu hoch. Außerdem sind behornte Färsen schwer zu vermarkten.
Neben dem Hornstatus sind ihm hohe Milchinhaltsstoffe bei der Bullenauswahl wichtig. Mit Blick auf sein Produktionssystem wählt er zudem Bullen, die gute Fundamente, feste Euter und Persistenz vererben. Dabei setzt er zu 80% auf genomische Jungbullen. Jedes Jahr behält er auch 15 bis 20 Bullenkälber, um diese mit gut einem Jahr als Zuchtbullen zu verkaufen. Kälber und Bullen kommen bei Zimmermanns ebenfalls auf die Weide.
Ziel: Lebensqualität!
Nicht nur für seine Kühe, auch für den Betriebsleiter ist eine hohe Lebensqualität wichtig. Mehr Kühe als derzeit sind für Christian deshalb auch kein Thema. Zumal die Flächen knapp sind und es sich auch so rechnet. Auch ein automatisches Melksystem kommt nicht infrage, denn: „Melken ist eine meiner Lieblingsarbeiten!“ Außerdem würde das System nicht zu den weiten Wegen und den geringen Kraftfuttermengen passen. Allenfalls könnte er sich vorstellen, in eine Heutrocknung zu investieren, um Heumilch zu vermarkten. Aber das ist nur ein Gedanke. Erstmal soll alles so bleiben wie bisher. Schließlich kann man (und Kuh) hier gut alt werden.K. Hilbk-Kortenbruck
Den einen Weg, erfolgreich Milch zu produzieren, gibt es nicht. Vielmehr muss die Produktion optimal an den Standort angepasst werden.