Bis heute erinnert sich Henning Schmitt* ganz genau an den Tag, als das Telefon klingelte. Er saß gerade auf seinem Trecker, um Gülle auf das Grünland auszubringen. Das Veterinäramt war dran. Es bestand der Verdacht auf eine BHV1-Infektion in seinem Kuhbestand.
* Der Name wurde von der Redaktion geändert
Wie haben Sie von der BHV1-Infektion Ihrer Tiere erfahren?
Henning Schmitt: Unsere Region war zu dieser Zeit BHV1-Hochrisikogebiet. Daher haben wir alle zwei Monate Milchproben gezogen. Im November 2018 waren noch alle Proben negativ. Da haben wir uns auch keine großen Sorgen gemacht. Dann wurde im Februar wieder die Milch beprobt. Zwei Wochen später kam der Anruf, dass sechs Proben positiv sind. Da wusste ich schon: Das geht nicht gut! Wenn mehrere Proben positiv sind, wird da hundertprozentig was sein. Das war ein schlimmes Gefühl.
Was ist BHV1?
Das Bovine Herpes Virus Typ 1 (BHV1) ist eine anzeigepflichtige Tierseuche. Das Herpesvirus wird über Tröpfcheninfektion verbreitet und ist hoch ansteckend. Ein einmal infiziertes Tier bleibt lebenslang Virusträger. Deutschland gilt offiziell als „BHV1-freie Region“. Auf Anordnung der Behörden müssen die infizierten Rinder daher bei einem Ausbruch getötet bzw. geschlachtet werden, um eine weitere Verbreitung zu verhindern.
Hatten die Kühe Krankheitssymptome?
Schmitt: Nein. Wir hatten nur einen leichten Einbruch in der Milchleistung im Dezember. Da haben die Kühe kurz einen bis zwei Liter Milch verloren. Die Zellzahlen haben sich aber nicht verändert. Sonst waren alle Tiere gesund.
Wissen Sie, wo sich Ihre Kühe damals angesteckt haben?
Schmitt: Wir wissen es bis heute nicht. Ich habe keine Tiere zugekauft oder einen Deckbullen eingesetzt. Unser Besamungstechniker hatte betriebseigene Stiefel und Kittel. Der Tierarzt hat auch immer auf die Hygiene geachtet. Da lief keiner einfach so durch den Stall. Eigentlich haben wir uns schon sehr sicher gefühlt. Ich vermute, dass es vielleicht von den Klauenschneidern kam. Deshalb kommen die jetzt nicht mehr auf den Hof und ich mache den Klauenschnitt selbst. Andere kaufen sich einen guten Trecker, ich habe mir einen guten Klauenstand gekauft. Der hat sich für mich jetzt schon bezahlt gemacht.
Was passierte nach dem positiven Milchprobenergebnis?
Schmitt: Wir haben alle 400 Tiere, die wir damals hatten, geblutet. Darauf die Woche kam dann das Ergebnis. Von den 400 Proben waren 360 BHV1-positiv. Das Schwerste war es in den Tagen, morgens in den Stall zu gehen und zu wissen, dass die Tiere alle weggehen. Was mich motiviert hat weiterzumachen war, dass ich einfach gerne mit den Kühen arbeite. Die sollten auch bis zum letzten Tag bei mir optimal versorgt werden.
Gab es eine Frist, bis wann die Kühe geschlachtet werden mussten?
Schmitt: Ob es da eine Frist gab, weiß ich nicht mehr. Ich wollte das aber für mich so schnell wie möglich hinter mich bringen und nicht zwei Monate lang jede Woche Kühe verladen. Also haben innerhalb von zehn Tagen alle Tiere den Hof verlassen. Da haben wir pro Tag 60 Tiere verladen. Man hatte die Zeit so viel zu tun, da konnte man gar nicht richtig drüber nachdenken, was da eigentlich passiert. Das war auch viel Schreibarbeit. Ich saß bis abends um zehn Uhr im Büro und habe sortiert, welche Kühe morgens auf die Lkws gehen. Die unter sechs Monate tragend waren, gingen direkt mit dem ersten Zug weg.
Was passierte mit den hochtragenden Kühen?
Schmitt: Die blieben bis zum Schluss und wurden eingeschläfert. Zusammen mit den jungen Kälbern, die unter sechs Monate alt waren und nicht geschlachtet werden konnten. Das waren insgesamt 90 Tiere.
Ich bleibe, bis die letzte Kuh geht.
Henning Schmitt
Was war das für ein Gefühl, als die letzten Tiere eingeschläfert wurden?
Schmitt: Das Schlimme war es morgens die Kälber zu tränken und zu wissen, die werden alle zwei Stunden später eingeschläfert. Das ist absurd. Da muss man sich nichts vormachen. Morgens kamen dann die Container auf den Hof. Meine Eltern waren nicht dabei. Ich habe gesagt, ich war damals dabei, als die erste Kuh in den Stall gekommen ist und ich bleibe, bis die letzte Kuh geht. Als der Stall dann leer stand, war das schon ein ganz komisches Gefühl.
Wie lange stand der Stall dann leer?
Schmitt: Wir hatten nur drei Wochen Leerstand. Davon waren wir zwei Wochen lang mit Reinigungsarbeit beschäftigt. Die grobe Reinigung mussten wir selbst machen. Dazu gehörte, die Tiefboxen zu entleeren. Das war richtig viel Aufwand. Da hatte man nicht weniger Arbeit, weil man nicht gemolken hat. Die restliche Reinigung hat dann eine Firma gemacht. Da mussten wir aber auch mit anpacken. Zum Schluss kam das Veterinäramt gucken, ob alles sauber ist, um den Stall freizugeben.
Wo haben Sie die neuen Tiere gekauft?
Schmitt: Bevor die letzten Tiere eingeschläfert wurden, haben wir uns schon nach neuen Kühen umgeschaut. Wir hatten von einer Betriebsaufgabe gehört und konnten eine ganze Herde von 240 Kühen kaufen. Das hat dann direkt motiviert, weil ich wusste, dass es weitergeht. Nach den Kühen haben wir zwei Monate später angefangen, Rinder und tragende Färsen zuzukaufen. Erstmal wollten wir uns nur auf die Kühe konzentrieren.
Mussten von allen Zukaufstieren Blutproben gezogen werden?
Schmitt: Nein, bei den Kühen haben wir nur Milchproben gezogen. Bei den Rindern waren es Blutproben. Bei dem Transport der Kühe war mir dann auch ein gutes Transportunternehmen wichtig, welches hygienisch arbeitet und alle zugekauften Kühe auf einmal holt und nicht zwischendrin noch Schlachttiere transportiert. Der Transport der Kuhherde hat 2 ½ Tage gedauert.
Die erste Kuh im Melkstand war etwas Besonderes.
Henning Schmitt
Wie war das Gefühl, eine fremde Herde zu melken?
Schmitt: Komisch, man kannte einfach keine Kuh. Der Vorbetrieb hatte einen Melkstand-Karussell von einem anderen Hersteller. Die Kühe mussten sich erstmal daran gewöhnen, dass sich das Karussell in eine andere Richtung dreht. Die erste Kuh, die im Karussell stand, hat die Halsbandnummer eins bekommen. Den nachfolgenden Kühen haben wir in der Reihenfolge wie sie kamen die Halsbänder umgelegt. Man brauchte irgendein System. Die erste Kuh ist mir auch direkt im Gedächtnis geblieben. Das war etwas Besonderes, über das man schon mal nachdenkt. Deshalb schaue ich, dass ich die besonders lange halte und tragend kriege.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie mit der neuen Herde wieder auf dem gleichen Leistungsniveau waren wie vorher?
Schmitt: Mit der Milchleistung waren wir sechs Monate nach den positiven Milchproben wieder auf dem gleichen Niveau wie vorher. Wir haben aber auch eine gute Herde eingekauft. Nur die Milchinhaltsstoffe sind immer noch nicht so hoch wie bei meiner alten Herde.
Wie groß war der finanzielle Schaden?
Schmitt: Wir hatten zum Glück eine Tierversicherung abgeschlossen. Das dauert natürlich, bis man das Geld wiederbekommt, weil erst gezahlt wird, wenn der Deckungsbeitrag schlechter ist als im Vorjahr. Und man bekommt das Geld von der Tierseuchenkasse und den Schlachterlös. Das sind ja auch keine kleinen Summen. Was fehlt sind die Milchgeldeinnahmen. Da wir schnell wieder eingestallt haben, hat uns eigentlich nur das Milchgeld von einem Monat gefehlt. Finanziell haben wir das überstanden, aber für die Psyche war es nicht einfach. Das muss man ganz klar sagen.
Wie groß ist Ihre Angst, dass so etwas Schlimmes nochmal passiert?
Schmitt: Bei der ersten Milchprobe nach einem Monat mit den neuen Kühen im Stall habe ich gezittert. Hoffentlich ist nicht wieder was. Mittlerweile wird nur noch jedes halbe Jahr die Milch auf BHV1 getestet. Sonst würde ich mich jeden Monat verrückt machen. Letzten Monat kam das Ergebnis der Milchproben etwas später. Da denkst du direkt drüber nach, ob wieder was ist, weil es damals auch länger als üblich gedauert hatte, bis das positive Ergebnis kam.
Was würden Sie Betrieben bei einem BHV1-Einbruch nach Ihrer eigenen Erfahrung raten?
Schmitt: Schnellstmöglich wieder anzufangen. Auch, um den finanziellen Schaden so gering wie möglich zu halten.
Während sich die BHV1-Ausbrüche vor allem in NRW derzeit häufen, bleibt die Eintragsquelle oft unbekannt. Wie kann man den eigenen Bestand dennoch schützen?