Sensorsysteme

Der Milchkuhbetrieb der Zukunft

Wie werden wir in 30 Jahren Lebensmittel produzieren? Ist die Digitalisierung noch aufzuhalten? Rechnen sich digitale Systeme, z.B. Sensoren? Antworten darauf gab es bei der Roadshow von Zoetis.

Praktiker, Wissenschaftler und Unternehmensvertreter haben auf Haus Düsse den Einsatz von Sensorsystemen diskutiert. Anlass war eine einwöchige Roadshow durch die landwirtschaftlichen Versuchszentren Deutschlands.

Urban Farming und Big Data als Chance

Andreas Pelzer, Leiter des Sachbereiches Rinderhaltung auf Haus Düsse (NRW) gab einen Einblick in die Milchproduktion der Zukunft. Die Aufgabe der Landwirtschaft sei zum einen, Ressourcen zu schützen und zu nutzen, andererseits auch noch in 30 Jahren Lebensmittel zu produzieren.
Kühe auf der Floating Farm

Urban Farming mit Milchkühen: Die Floating Farm im Hafenbecken von Rotterdam (Bildquelle: floatingfarmnl (Instagram))

Eine Möglichkeit, die Lebensmittelversorgung der wachsenden Stadtbevölkerung zu sichern, sei Urban Farming (städtische Landwirtschaft). Ein erfolgreiches Beispiel dafür sei die Floating Farm im Hafenbecken von Rotterdam. Die Anlage mitten in der Stadt hält und melkt Kühe – und ist von der Stadtbevölkerung akzeptiert! In Deutschland laufen derzeit knapp 600 Urban-Farming-Projekte, die alle eins gemeinsam haben: Sie sind innovativ und voller Ideen. Natürlich funktionieren sie nicht immer (Beispiel: Auf der Floating Farm in Rotterdam musste der Herdenmanager anfangs Grassilage aus dem Hafenbecken fischen, die sich in den Schiffsschrauben der angelegten Schiffe verfangen hatte. Grund dafür war der schmale Futtertisch, über den die Kühe die Grassilage über den Rand ins Wasser geschoben hatten), jedoch sind die Lösungen des Urban Farming fast alle nachhaltig. Für die Milchproduktion bedeutet dies keine Bedrohung, sondern vielmehr eine Chance. Denn: In Kombination mit dem Know-How, der Fläche und der Erfahrung von Milcherzeugern könnten sich daraus – wie in Rotterdam - große Möglichkeiten entwickeln!
Neben dem Urban Farming wird auch die Digitalisierung und das Datenmanagement in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Nach der Technisierung und Automatisierung in der Milchkuhhaltung werden nun die Daten aus dem Stall immer effektiver genutzt. „Alles, was digitalisiert werden kann, wird auch digitalisiert“, ist sich Rinderexperte Pelzer sicher. Für das erfolgreiche Nutzen der Daten sind für ihn u. A. folgende Dinge entscheidend:
  • Die richtige Einstellung: „Digitalisierung ist Kopfsache“, erklärte er. Die digitalen Hilfsmittel müsse man so beherrschen, dass sie für den Landwirt arbeiten, nicht anders herum.
  • Individuelle Daten bereitstellen: Je nach Aufgabenbereich müssen für Betriebsleiter, Herdenmanager, Mitarbeiter oder Tierarzt verschiedene Daten bereitgestellt werden.
  • Daten aktiv nutzen: Nachdem Daten erfasst, strukturiert und analysiert sind, erfolgt die Bewertung. Die wichtigste Maßnahme kommt anschließend und wird jedoch noch oft vergessen: Handeln! Die besten Daten nutzen nichts, wenn sie nicht für Entscheidungen genutzt werden.
  • Daten vernetzen: Auf den Milchkuhbetrieben gibt es eine Flut an Daten aus HIT-Datenbank, den MLP-Berichten, Automaten und Sensoren, sowie der Erfassung und Dokumentation durch die Mitarbeiter. Problematisch ist dabei die Vernetzung aller Daten, denn oft hat jedes Programm, Gerät oder Automat eine eigene Datenverarbeitung und –speicherung. In Zukunft sollte es mithilfe von herstellerübergreifenden Schnittstellen möglich sein, alles an Datenmanagement über ein Smartphone zu bedienen.
  • Daten sichern: Die Cloud als Sicherungsort für Daten ist praktisch – man kann online von überall darauf zugreifen. Das Problem bleibt aber: Die Betriebsdaten liegen jeweils auf den einzelnen Clouds der Hersteller. Damit verliert der Landwirt die Hoheit über seine Daten. Wer kann darauf zugreifen und die Daten für andere Zwecke benutzen?
  • Datenkompetenz ausbauen: Eine intelligente Auswertung der Daten muss vollständig von der Kalbung bis zur Schlachtung erfolgen. Um Entscheidungen dann richtig zu treffen müssen, die Daten richtig verknüpft und gelesen werden. Das bedeutet z.B., dass eine erhöhte Aktivität erst eine Brunst signalisiert, wenn sie mit anderen Daten verknüpft werden kann, z.B. einer reduzierten Milchmenge und –fluss. Wer kann diese intelligente Verknüpfung erstellen? Am Ende ist es am wichtigsten, Mitarbeiter mit Datenkompetenz auszustatten. Theoretisch ist dieses bei den Landeskontrollverbänden möglich. Denn dort sind die Daten ohnehin schon vorhanden, genauso wie Kompetenz und die Erfahrung. Der Vorteil: Die Daten blieben in eigener Hand und wären an einem Ort gebündelt.

Ab sieben Minuten rechnet sich ein Sensor

Mithilfe von Sensoren können Milcherzeuger ihr Management noch intensivieren und z.B. klinische Euterentzündungen schon früher erkennen. Das erklärte Unternehmensberater Bernd Lührmann von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Der große Vorteil von Sensordaten: Sie liefern objektive Zahlen in Echtzeit. Im Stall können diese Zahlen dabei helfen, die Effizienz zu steigern, z.B. bei der Ortung. Dadurch entfällt die Zeit für die manuelle Ortung der Kuh.
Für die Entwicklung des Betriebs und den Schutz der Betriebsleiterfamilie sind Investitionen notwendig, erklärte er. In der Zukunft müssen Milchkuhbetriebe nicht unbedingt in der Größe wachsen, aber noch effizienter arbeiten. “Um zu überleben, muss man überdurchschnittlich gut sein“, erklärte Lührmann. Das bedeute zum einen, Entscheidungen schneller zu treffen als andere. Doch was muss ein Sensorsystem leisten, damit sich die Anschaffung lohnt? Lührmanns Berechnungen zufolge lohnt sich die Investition in Sensoren, sobald mindestens sieben Minuten Arbeitszeit täglich eingespart werden können, z.B. bei der Kuh-Ortung im Stall.
Das Potential von moderner Technik wird auf Milchkuhbetrieben dennoch oft unterschätzt. Trotzdem ist Sensortechnik kein Selbstläufer, denn sie benötigen die richtige Auswertung und Interpretation. Deswegen ist sie gerade für Milcherzeuger mit Interesse an Daten empfehlenswert und auch wirtschaftlich. Berater Lührmann rechnet damit, dass Sensorsysteme für die effiziente und produktive Milcherzeugung unverzichtbar sein werden.
Aus der Praxis: Milcherzeuger Frank Cordes vom Milchhof Reeßum (Niedersachsen) erklärte, wie er digitale Sensorsysteme im Betriebsalltag nutzt. Wenn ein Sensor in der Ohrmarke einer seiner Kühe den Alarm für eine anstehende Mastitis zeigt, wird sofort eine Untersuchungskette in Gang gesetzt: Temperatur messen, Schalmtest, Einzelgemelksprobe für den Erregernachweis und ggf. Verabreichen eines Entzündungshemmers. Der Erfolg zeigt sich deutlich. Seit Juli 2019 haben wir keine Eutertuben mehr auf dem Hof, erklärt Frank Cordes. Mehr über den Betrieb von Frank Cordes lesen Sie in der Betriebsreportage in der Ausgabe 2/2018.

Milcherzeuger Frank Cordes hat mithilfe von Sensoren die Eutergesundheit seiner Herde verbessert. (Bildquelle: Kortendieck)

Krankheiten früh erkennen
Christian Wunderlich, Tierarzt bei Zoetis, erklärte anschließend noch einmal den praktischen Nutzen von Sensorsystemen. Durch entsprechende Sensoren können Krankheiten schon vor dem Auftreten von Symptomen erkannt werden. Ein System dafür ist Smartbow, welches als wiederverwendbare Ohrmarke Daten zur Gesundheit, Brunstaktivität und Kuh-Ortung erfasst und bereitstellt.
So zeigt sich zum Beispiel bei der Überwachung der Wiederkauaktivität, dass bereits ein bis zwei Tage vor dem Auftreten einer klinischen Coli-Mastitis die Wiederkauaktivität um ca. 60 Minuten abnimmt. Er empfiehlt in solchen Fällen, zusammen mit Tierarzt individuelle SOP’s für die Betriebe zu erarbeiten. Damit können Betriebsleiter und Herdenmanager bei Alarmen/Abweichungen standardisierte Reaktionen festlegen.