Es ist ein heißer Tag im August. Wie überall in Deutschland sind auch in Oberbayern Milcherzeuger am Heuen oder Silieren. Familie Vollert aus Großhöhenrain empfängt uns dagegen ganz entspannt mit kühlen Getränken in ihrem Garten. „Wir genießen es, im Sommer mehr Zeit für andere Dinge und insgesamt mehr Lebensqualität zu haben“, sagen Martina und Josef Vollert, die den Bio-Betrieb gemeinsam mit ihrem Sohn Josef führen. „Im Winter, wenn die ersten Kälber kommen, sind wir dann...
Jetzt bestellen und weiterlesen!
Elite - Das Fachmagazin für erfolgreiche Milchproduktion
Elite Print + Digital
Jahresabo
112,20 EUR
/
Jahr
6 Print-Ausgaben im Jahr versandkostenfrei
Alle Print-Ausgaben auch digital für Ihr Tablet oder Smartphone
Zugang zu sämtlichen Inhalten auf elite-magazin.de
Es ist ein heißer Tag im August. Wie überall in Deutschland sind auch in Oberbayern Milcherzeuger am Heuen oder Silieren. Familie Vollert aus Großhöhenrain empfängt uns dagegen ganz entspannt mit kühlen Getränken in ihrem Garten. „Wir genießen es, im Sommer mehr Zeit für andere Dinge und insgesamt mehr Lebensqualität zu haben“, sagen Martina und Josef Vollert, die den Bio-Betrieb gemeinsam mit ihrem Sohn Josef führen. „Im Winter, wenn die ersten Kälber kommen, sind wir dann wieder hochmotiviert,“ schildert das Paar.
Es ist ein Privileg durch ausreichend arrondierte Fläche Vollweide praktizieren zu können. Das wissen wir und schätzen es.
Martina und Josef Vollert
Auf die Idee, ihren Betrieb mit 60 Kühen auf Vollweide mit Blockabkalbung umzustellen, kam die Familie 2006 durch den Aufruf der LfL Bayern für ein Pilotprojekt. „Der hohe Kraftfutteraufwand im Laufstall, die Arbeitsbelastung und die schmutzigen Kühe bei Portionsweide sowie der enge, sich schnell aufheizende Stall waren ausschlaggebend für die Umstellung. Wir standen vor der Entscheidung, entweder einen neuen Stall zu bauen oder die Weidehaltung auszuweiten und zu optimieren.“
Als Martina und Josef Vollert (3. und 4. von links) vor rund 20 Jahren in die Vollweide mit Kurzrasenweide eingestiegen sind, gab es noch kaum Praxiserfahrungen damit. Umso dankbarer waren sie damals für die fachliche Betreuung durch Siegfried Steinberger von der LfL Bayern (1. von links). Mittlerweile haben sie das Weidesystem gut im Griff. Hofnachfolger Josef Vollert (2. von links) will es nach eigenen Worten weiter führen.
(Bildquelle: Lehnert, Silvia)
Josef Vollert hat in Eigenleistung diesen Außenfuttertisch mit Futterband gebaut, um im Laufstall selbst mehr Platz zu schaffen.
(Bildquelle: Lehnert, Silvia)
Sie haben sich schließlich für Letzteres entschieden. Möglich war das vor allem durch 38 ha arrondierte Fläche: „Es ist ein Privileg, durch ausreichend arrondierte Flächen Vollweide praktizieren zu können. Das wissen wir und das schätzen wir auch.“ Die gesamte Herde mit 60 Kühen plus Jungvieh ist ab Ende März bis Ende Oktober auf der Weide und kommt nur zum Melken zweimal am Tag in den Laufstall. Ab November kommen sie bis Ende März in den Stall, wo sie kalben und wieder besamt werden. Die Umstellung auf das neue System sei insgesamt schnell gegangen. „Schon das erste Jahr hat uns überzeugt, dass dieser Weg für uns der Richtige ist. Selbst wenn der Druck von außen hoch war“, sagt das Ehepaar rückblickend.
Holstein im tiefsten Fleckviehgebiet
Familie Vollert hält – mitten im Fleckviehgebiet – im Zuge der TBC-Sanierung schon seit den 60er Jahren 60 schwarzbunte Holstein-Kühe. Der Einzug in einen Laufstall erfolgte bereits 1967. Um die beengten Platzverhältnisse im Stall zu entspannen, hat Josef Vollert im Laufe der Zeit in Eigenregie einen überdachten Außenfuttertisch mit Futterband gebaut. „Im Gebäude liegen sie jetzt nur noch, gefressen wird draußen.“ Die Abkalbebucht im Laufstall wurde im Zuge der Umstellung auf Blockabkalbung ausgebaut und ein Kälberschlupf geschaffen.
Weil die Boxenmaße für die immer größer gewordenen Tiere allmählich zu knapp geworden sind, kreuzten sie 2012 im Rahmen eines Weidegenetik-Projektes der Universität Gießen Neuseeländische Rassen ein. Das sind einmal Neuseeländische Jerseys, Friesian und Kiwi-Cross. „Kühe, die bei der Milchmenge noch nachhinken, besamen wir mit Holsteins. Wenn schon genug Milch da ist, kommt heute Kiwi-Cross drauf.“ Außerdem kommt viel Limousin für Gebrauchskreuzungen zum Einsatz.
Der Kälberverkauf ist eigentlich unser größtes Problem.
Martina Vollert, Milcherzeugerin
Der Effekt der Einkreuzung bisher: Kleinere, robuste Tiere mit gesunden Klauen und höheren Inhaltsstoffe, die gut fressen. „Kiwi-Cross hat uns am meisten überzeugt. Die Tiere sind klein und haben schöne Euter“, sagt Martina Vollert. Für die eigene Nachzucht benötigt der Betrieb nur 5 bis 7 Jungtiere im Jahr. Die Vermarktung der Kreuzungstiere sei allerdings in der Region – ebenso wie bei den Holsteinkälbern – nicht ganz einfach, gibt sie zu. „Der Kälberverkauf ist eigentlich unser größtes Problem.“ Aber eine andere Rasse komme trotzdem nicht infrage: „Wir haben eine gut durchgezüchtete Herde, die anpassungsfähig ist.“ Die erste Generation der Kreuzungstiere steht noch fast komplett im Betrieb.
Voll-TMR im Stall
Das Ziel von Familie Vollert sind langlebige Kühe mit hoher Lebensleistung. Aktuell liegt der Schnitt bei knapp sieben Laktationen und über 50.000 kg Lebensleistung. Wenn Tiere vorzeitig abgehen, dann meist bedingt durch Verletzungen. Aktuell gibt die Herde 7.200 kg Milch mit 4,5 % Fett und 3,5 % Eiweiß. „Wir konnten nach der Umstellung auf die Vollweide die Leistung gegenüber früher halten und die Inhaltsstoffe deutlich steigern. Eine hohe Milchleistung ist uns schon wichtig, aber mit einem möglichst niedrigen Kraftfutteraufwand – zumal Biokraftfutter relativ teuer ist“, betonen die Betriebsleiter.
Nicht weidefähige, hofferne Flächen hat die Familie im Laufe der Zeit für den Anbau von Silomais und Kleegras in Acker umgewandelt. Nach zwei Jahren Mais kommen vier Jahre Kleegras. „Die Milch ist dadurch im Winter nur so gerauscht und die Kühe wurden richtig rund“, berichtet Martina Vollert.
In der Weidesaison 2023 haben sie zusätzlich zur Kurzrasenweide zu den Melkzeiten versuchsweise Kleegras eingegrast: „Das hat gut funktioniert und die Leistung gepuscht.“ Doch dieses Jahr war es dafür zu nass. Vom höheren Milchertrag her gefallen hat ihnen auch die Zeit, als sie die Kühe in der Frischlaktation dreimal täglich gemolken haben. „Wir überlegen, das bei ausreichend Arbeitskräften zu wiederholen.“
In der Winterperiode erhalten die Kühe eine Voll-TMR mit Silomais und maximal 6 kg Kraftfutter pro Kuh (MLF 18:4). Der Kraftfutter-Aufwand liegt pro Jahr bei zwischen 600 und 700 kg pro Kuh, hat Vollert errechnet. Im Sommer bekommen die Tiere nur Mineralfutter und Viehsalz. In der Weidesaison wirklich nichts zuzufüttern, kostete am Anfang Überwindung. „Wenn sie im Herbst in den Stall zurück kommen, setzen viele trotzdem mit über 40 Liter Milch am Tag ein“, sagt Vollert.
Kurzrasenweide als Herausforderung
Eine Herausforderung bei der Umstellung auf die Vollweide war die Einführung der Kurzrasenweide als Weidesystem. „Es gab damals noch recht wenig Erfahrungen damit“, erinnert sich Josef Vollert. Für die zu Beginn sehr intensive fachliche Begleitung durch Weidespezialist Siegfried Steinberger von der LfL Bayern sind sie noch heute dankbar. Das Management der Kurzrasenweide haben sie natürlich längst im Griff. „Wenn wir die Geilstellen nicht mähen müssen, ist das für uns das Signal, dass das System funktioniert“, fasst Josef Vollert zusammen. Günstiger Nebeneffekt des kurzen Grases: „Die Kühe bleiben dadurch sehr sauber.“ Die zu Beginn unverzichtbare regelmäßige Aufwuchsmessung wird mittlerweile nur noch ab und an durchgeführt, auch wenn sie wissen, dass hier noch Potenzial für eine höhere Flächenleistung liegt.
Artenreiche Weiden
Martina Vollert ist stolz auf den Artenreichtum auf den Weiden, die durchweg eine sehr dichte Grasnarbe aufweisen. „Die bei der Ökoregel (ÖR) 5 geforderten vier Kennarten nachzuweisen, ist für uns kein Problem“. Sie zählt auf: Da gibt es Kleine Braunelle, Schafgarbe, Frauenmantel, Gamander-Ehrenpreis und Herbstlöwenzahn. Der Ampfer verschwinde allmählich auch von den Mähweiden, allerdings würden Disteln eher zunehmen. In diesem Jahr sind die Bestände durch ausreichend Niederschlag besonders gut gewachsen, so dass sich das Kammgras zum Leidwesen der Betriebsleiter (zu) stark ausbreiten konnte. „Wir sind mit der Vollweide einfach viel stärker vom Wetter abhängig als andere Betriebe.“ Den häufigeren Starkregen-Ereignissen haben die Flächen insgesamt aber gut stand gehalten. „Wir haben nur die Eintriebe zur Befestigung etwas aufgekiest.“
Ist das Gras zu kurz oder zu lang, zeigen uns die Kühe durch ihr Verhalten, dass sie auf eine andere Fläche wollen.
Josef Vollert, Milcherzeugerin
Sobald das Gras im Frühjahr wächst, wird ein Teil gemäht und ein kleiner Teil beweidet. Ab dem 2. Schnitt wächst der Weideanteil kontinuierlich, bis im Herbst alle zu 100 % als Weide genutzt werden. „Die Mähflächen erst großflächig abgrasen zu lassen, funktioniert nicht. Denn die Kuhfladen sind dann beim Mähen noch da.“ Während früher vor der Umstellung sieben Schnitte zusammenkamen, sind es heute noch vier. Der restliche Aufwuchs wird geweidet. Gewalzt oder geeggt werden die Weideflächen nicht, allenfalls wird Kalk aufgebracht. Weideflächen wurden bisher noch nie neu eingesät. „Natürlich können immer noch Fehler passieren.“
Familie Vollert ist stolz auf eine dichte Grasnarbe und dass sie auf ihren Flächen mindestens die vier Kennarten der Ökoregel nachweisen kann.
(Bildquelle: Lehnert, Silvia)
Ampfer ist auf den Weiden und auch auf den Mähwiesen rar geworden, Disteln sind dagegen eher noch ein Ärgernis.
(Bildquelle: Lehnert, Silvia)
Möglicher Umstellungsplan
Laut Siegfried Steinberger, LfL Bayern empfiehlt sich folgender Umstellungsplan:
1. Jahr: Das Jungvieh auf die Kuhweiden lassen, um hier bereits Trittfestigkeit zu erreichen
2. Jahr: Kühe auf die Weide und ab 1. Juni konsequent kein Tier mehr besamen
Starker Herdenverband
Der zentrale Dreh- und Angelpunkt für eine funktionierende Vollweide sei es, dass die Tiere weidegewohnt seien. „Unsere Kühe kennen sich genauso gut mit der Kurzrasenweide aus wie wir“, sagt Martina Vollert. „Im Frühjahr sind sie ganz heiß darauf, rauszukommen. Ist das Gras zu kurz oder zu lang, zeigen sie uns durch ihr Verhalten, dass sie auf eine andere Fläche wollen.“ Durch das hohe Alter der Kühe ist mittlerweile ein starker Herdenverband entstanden. Der inzwischen 20-jährigen Leitkuh folgt die ganze Herde. Das und der enge Kuhbezug erleichtere auch die Treibearbeit zum leeren Futtertisch– zweimal am Tag. Ein Bergamasker Hirtenhund unterstützt sie dabei. „Wir legen schon bei den Kälbern großen Wert darauf, früh einen Herdenverband zu schaffen.“ Im Iglu werden sie schon nach wenigen Tagen in 5er-Gruppen zusammen gestallt. Ab dem 5. Lebensmonat kommen sie zum ersten Mal auf die Weide: „Die Erfahrungen in den ersten 14 Tagen mit Strom am Weidezaun hält dann ein Leben lang.“
Im Sommer hat es die Herde auf der Weide immer häufiger mit Hitzestress zu tun. An besonders heißen Tagen darf sie in der hofnahen, schattenbietenden „Obstgarten“ grasen oder in den Stall. Zwei Weiden verfügen über eine fest installierte Wasserleitung, die Wechselweiden werden per mobilem Wasserfass versorgt. Fast schlimmer als die Hitze sei die Fliegenbelastung auf der Weide, sagen die Praktiker. Wenig Arbeit macht dagegen die Klauenpflege. „Wir schneiden die Klauen nur nach Bedarf. Häufigere Kandidatinnen sind meistens Kühe mit viel Milch und wenn sie spät kalben.“
Einzelbetreuung in der Kälberaufzucht
Die meiste Arbeit fällt in der Stallperiode im Winter an. Vor allem Martina Vollert investiert dann viel Zeit in die Kälberaufzucht und betreut möglichst jedes Tier einzeln: „Mir sind ein ruhiger, stressfreier Umgang mit den Tieren und eine gute Biestmilchversorgung besonders wichtig.“
Die Kälber werden in den ersten Tagen kuhgebunden mit Vollmilch aufgezogen. Später erhalten sie Joghurttränke ad libitum. „Durch das Rein-Raus-System und die intensive Betreuung haben wir sehr gesunde Kälber und nahezu keine Aufzuchtverluste.“
Die Abkalbesaison beginnt bei Familie Vollert Mitte November. „Als Altmelker und Trockensteher kommen die Tiere besser mit trockenen Phasen im Sommer zurecht.“ Außerdem sei dann vor der Kalbung eine intensivere Betreuung möglich, weil die Weideperiode dann schon zu Ende ist. Ab Lichtmeß im Februar wird in der Regel besamt.
Selbst bei über 30 °C im Hochsommer: die Herde von Familie Vollert grast ungestört.
(Bildquelle: Lehnert, Silvia)
Wie geht es weiter?
Den zwischenzeitlich auf 75 Kühe angewachsenen Bestand haben sie durch Jungvieh-Verkauf wieder abgestockt. „60 Kühe ist die ideale Bestandsgröße, was die Stallkapazitäten und die Arbeitsbelastung im Winter angeht und damit kommen wir auch ökonomisch klar. Wir wollen das System nicht ausreizen“, beschreibt Josef Vollert. Obwohl die Familie schon sehr auf Effizienz achtet, will sie ihre Kosten weiter reduzieren. Beim Kraftfuttereinsatz gebe es noch Potenzial. „Wir können uns vorstellen, das teure Bio-Kraftfutter noch gezielter über eine Station einzusetzen“, sagt Hofnachfolger Josef Vollert. Bei der Blockabkalbung nehmen sie sich vor, noch konsequenter zu sein. Gelingen soll das auch mithilfe der neu angeschaffenen Pansenboli zur Brunsterkennung.
Sie haben sich gegen den Mainstream entschieden und sind vor rund 20 Jahren auf Vollweide mit Blockabkalbung umgestiegen. Wo stehen diese Pioniere heute?
Kombiniert man Vollweide mit einer Herbst-/Winterabkalbung kann der Weideaufwuchs optimal genutzt und Futter-, Energiekosten sowie Arbeitszeit reduziert werden.