Elite: Der selektive Einsatz von antibiotischen Trockenstellern nur noch bei euterkranken Tieren oder Vierteln ist in vielen Betrieben mittlerweile etabliert und erfolgreich. Die Einsparung von Antibiotika ist spürbar. Ihnen ist dieser Erfolg aber nicht genug, Sie plädieren jetzt dafür, auch noch auf diese letzte Antibiotika-Gabe beim Trockenstellen zu verzichten. Wie kommen Sie zu dieser doch recht gewagten Forderung?
Dr. Michael Kreher: In den...
Elite: Der selektive Einsatz von antibiotischen Trockenstellern nur noch bei euterkranken Tieren oder Vierteln ist in vielen Betrieben mittlerweile etabliert und erfolgreich. Die Einsparung von Antibiotika ist spürbar. Ihnen ist dieser Erfolg aber nicht genug, Sie plädieren jetzt dafür, auch noch auf diese letzte Antibiotika-Gabe beim Trockenstellen zu verzichten. Wie kommen Sie zu dieser doch recht gewagten Forderung?
Dr. Michael Kreher: In den Milchkuhbetrieben in Brandenburg, die wir betreuen, haben wir das selektive Trockenstellen in den letzten Jahren stark vorangetrieben. In unseren Bio-Betrieben aber haben wir damit gar nicht erst angefangen, d. h. wir verzichteten in Beständen mit bis zu 1.400 Kühen von heute auf morgen komplett auf Antibiotika beim Trockenstellen. Die sehr guten Praxiserfahrungen in diesen Betrieben bestärken mich darin, jetzt noch einen Schritt weiterzugehen und das Antibiotikum beim Trockenstellen generell infrage zu stellen – zumal wir ja gerade in der Trockenstehphase zwischen konventionellen und biologisch wirtschaftenden Betrieben keine Unterschiede haben. Wir sollten meiner Ansicht nach künftig daher nicht mehr fragen, welche Kühe brauchen kein Antibiotikum mehr, sondern, welche Kühe brauchen es überhaupt noch?
Elite: Wie sehen diese Praxiserfahrungen konkret aus?
Dr. Kreher: In diesen Bio-Betrieben verzeichneten wir nicht mehr klinische Mastitisfälle als vorher. Lediglich die subklinischen Kennzahlen aus dem Eutergesundheitsbericht haben sich verschlechtert. So erhöhte sich ihre Neuinfektionsrate im Laufe eines Jahres um 10 bis 15 % und die Heilungsrate in der Trockenstehphase verschlechterte sich um 10 bis 15 %. Auf diesem Niveau hat sich das in allen Betrieben eingependelt, d. h. die Situation verschlechtert sich nicht. Das ist ein Preis, den ich angesichts der deutlichen Arbeits- und Kosteneinsparung sowie des Gewinns von so viel „moralischer“ Milchqualität, gerne zu zahlen bereit bin. Ich bin übrigens überzeugt davon, dass das selektive Trockenstellen nicht ausreicht, um bei der Kennzahl-Auswertung, die uns im Rahmen des Antibiotika-Monitorings bevorsteht, Deutschlandweit zu den besten zu gehören.
Die Kernfrage sollte lauten: Welche Kühe brauchen überhaupt noch Antibiotika? “
Dr. Michael Kreher
Elite: Wiesen diese Betriebe vorher auf Herdenbasis eine besonders gute Eutergesundheit auf und sind diese Ergebnisse problemlos auf andere übertragbar?
Dr. Kreher: Die Eutergesundheit war in diesen Holsteinherden, die zum Trockenstellen noch eine Leistung von 25 bis 30 kg Milch aufwiesen, insgesamt nicht besser als in anderen Herden dieser Größe. Aus den Erfahrungen unserer Tierarztpraxis kann man vielleicht nicht auf das gesamte Bundesgebiet schließen und auch in Galt-Sanierungsbetrieben mit den hohen Übertragungsraten des Erregers und seiner hohen Penicillin-Empfindlichkeit ist das Konzept infrage zu stellen. Aber ein durchschnittlicher deutscher Milchkuhbetrieb kann dieses Verfahren mit einem relativ geringen Risiko umsetzen. Voraussetzung ist aber, das Trockenstehermanagement zu optimieren.
Elite: Was meinen Sie damit, das heißt, wie gehen diese Betriebe in der Praxis konkret vor?
Dr. Kreher: Zum Trockenstellen versiegeln unsere Betriebe die Zitzen nur noch. Es wird weder ein Schalmtest noch eine bakteriologische Untersuchung gemacht und auch die Zellzahl bleibt unberücksichtigt. Das heißt konkret: Es findet überhaupt keine Auswahl der Tiere danach mehr statt, ob nun ein Antibiotikum nötig ist oder nicht. Wir schauen nur noch danach, ob die Milch klinisch auffällig ist, also ob etwa Flocken in der Milch sind oder ob das Euter geschwollen ist. Ist das der Fall, erfolgt bei diesem Tier eine bakteriologische Untersuchung und nach einem Erregernachweis eine Behandlung. Alle subklinischen Fälle, wie z. B. Kühe mit chronisch hohen Zellzahlen, erhalten keinen antibiotischen Trockensteller mehr. Seit einem guten Jahr haben wir zwei weitere Betriebe mit ca. 1.000 Kühen, die das ebenfalls so handhaben. Mit gutem Erfolg.
Elite: Was sind zwingende Voraussetzungen im Betrieb, damit diese Methode auf Dauer funktioniert?
Dr. Kreher: Die Versiegelung der Zitzen mit einem internen Zitzenversiegler muss absolut hygienisch erfolgen, damit hier keine neuen Erreger eingebracht werden. Am besten mit einem alkoholgetränkten Wattebausch. Diesen Risikofaktor des Erregereintrages haben wir übrigens durch den Verzicht auf antibiotische Trockensteller halbiert! Eine weitere Voraussetzung ist, eine komfortable Haltung der Tiere, am besten in Liegeboxen, denn hier lässt sich die Einstreu besser sauber und trocken halten. Täglich neu einzustreuen ist ein Muss! Viel Platz sowie viel Luft und Wasser sind noch wichtiger als früher. Wir haben in diesen Betrieben die Trockensteher-Kontrolle wieder intensiviert. So prüfen die Mitarbeiter ab sieben Tage nach dem Trockenstellen einmal in der Woche visuell, ob alle Viertel ausreichend eingefallen sind und ob es Hinweise auf eine Mastitis gibt.
Eine Verschlechterung der Heilungs- und Neuinfektionsrate um 15 % ist tolerierbar.
Dr. Michael Kreher
Elite: Wie haben die Betriebsleiter reagiert, als Sie dieses Vorgehen vorgeschlagen haben?
Dr. Kreher: Sie hatten sich das nicht so einfach vorgestellt und sind jetzt positiv vom Ergebnis überrascht. Denn die damit verbundene Arbeits- und Kostenersparnis ist erheblich. Der Schritt erfordert zu Beginn etwas Mut, das gebe ich zu. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die bisherige lokale Anwendung der Antibiotika letztlich nur noch prophylaktisch war, um Hygienemängel zu überdecken. Denn immer häufiger ist kein Erreger nachweisbar!
„Weniger Arbeit, weniger Kosten“
Die Milchgut Kolochau GmbH in Herzberg (Elster) in Brandenburg hat vor einem Jahr den Schritt gewagt, in ihrer Herde mit 1.230 Holsteinkühen (Ø 10.500 kg) komplett auf antibiotische Trockensteller zu verzichten. Die Zitzen werden nur noch versiegelt. Vorher bekamen Tiere ab 100.000 Zellen in der letzten MLP ein Antibiotikum.
Herdenmanager Johannes Dieckbuer: „Die Eutergesundheit ist bei 150.000 Zellen im Schnitt der Herde stabil, die Anzahl der klinischen Mastitisfälle ebenso.“ Die Heilungsrate in der Trockenstehzeit sei zwar um 10 % gesunken und die Neuinfektionsrate um 15 % gestiegen. „Doch das hat keine praktische Relevanz.“ Er lobt den geringeren Arbeitsaufwand und die Kostenersparnis. Wichtig seien aber gute Haltungsbedingungen für die Trockensteher. „Unsere Hochboxen mit Gummimatte kratzen wir täglich ab und streuen eine dünne Schicht Häckselstroh und 200 g Kalk pro Box und Tag ein.“
Der TGD in Bayern hat mit einer Initiative Landwirten geholfen, den Antibiotikaverbrauch beim Trockenstellen zu reduzieren, ohne dass die Eutergesundheit leidet.
Neue Studien zeigen, dass eine Verringerung der Melkfrequenz vor dem Trockenstellen den Euterdruck senkt. Der kritische Punkt dabei ist die Eutergesundheit.
Ein Vorgehen nach System hilft, beim Trockenstellen auf Antibiotika zu verzichten, ohne die Eutergesundheit zu gefährden. Tipps zum selektiven Trockenstellen.