In der ersten Melkzeit nach dem Zitzengummiwechsel fällt einem Milcherzeuger auf, dass einige der neuen Zitzengummis einen Längsriss haben. Was ist die Ursache?
Der Fall: Neue Zitzengummis reißen in der ersten Melkzeit
Ein Milcherzeuger hat in seinem Melkstand den regulären Wechsel der Zitzengummis vorgenommen. Es wurde der gewohnte Typ unter Einhaltung der Herstellerempfehlungen in die Hülsen eingebaut (neue Gummiteile in heißem Wasser angewärmt, keine spitzen Gegenstände als Hilfsmittel verwendet).
Bei der ersten Melkzeit nach dem Wechsel fiel den Melkern auf, dass das Geräusch einiger Melkzeuge nicht wie üblich klang, sondern gestört (“hohl“). Ein Blick in die Zitzenbecher der auffälligen Melkzeuge ergab, dass mehrere der neuen Zitzengummis einen ca. 2 cm langen Längsriss am oberen Schaftende aufwiesen (siehe Foto).
Das darf nicht passieren: Längsrisse in Zitzengummis. Wer das nicht bemerkt, bekommt Probleme mit der Eutergesundheit und mit der Hygiene der Melkanlage.
(Bildquelle: Privat)
Die Melkzeit wurde unterbrochen, um alle Zitzenbecher zu kontrollieren und die kaputten Gummis auszutauschen. Am nächsten Tag wurde der Anbieter kontaktiert und sicherheitshalber alle Zitzengummis erneut ausgewechselt.
Offen blieb die Frage, wo die Ursache für das Problem lag. Wir sind dem nachgegangen, um herauszufinden, wie sich derartige Vorfälle vorbeugen lassen. Schließlich hatte der betroffene Milcherzeuger Glück, dass er die kaputten Zitzengummis sofort bemerkte. Denn andererseits hätte es zu Problemen in der Eutergesundheit und in der Hygiene der Melkanlage sowie der Milch kommen können.
Die Ursachesuche: Abgelaufen? Falsche Lagerung? Produktionsfehler?
Wie konnte es dazu kommen, dass von der vermeintlich neuen Ware sofort einige Zitzengummis rissen? Das sagen die Experten:
1. In der Regel ein Produktionsfehler: Der Technische Manager von Milkrite Interpuls Deutschland, Eckhard Schütte, erklärte uns, dass ein derartig beschriebenes Reißen (ca. 2 cm langer, glatter Längsriss) in erster Linie auf einen technischen Fehler im Herstellungsprozess zurück zu führen ist. Und zwar genauer auf einen Fehler während der sogenannten Vulkanisation.
Dieser Vorgang sorgt dafür, dass das Zitzengummi dauerelastische Eigenschaften bekommt. Sprich reißfester, dehnbarer und beständiger gegen Witterungseinflüsse und Alterung wird und sich nach mechanischer Belastung (Melken, Reinigen) immer wieder in seine Ausgangsform zurück zieht. Wie elastisch ein Gummiwerkstoff ist, hängt von der Anzahl der Schwefelbrücken ab. Je mehr er davon aufweist, desto härter ist er. Die Zahl der Schwefelbrücken wird durch die zugegebene Menge Schwefel während der Vulkanisation und deren Dauer gesteuert.
Längsrisse an Zitzengummis sind typisch für Fehler bei der Vulkanisation
Eckhard Schütte, Milkrite Interpuls
Zitzengummis einer Produktionscharge werden auf mehreren Formen hergestellt. Die Fehler in der Vulkanisation treten pro Form auf und so kann es – wie im Praxisfall – dazu kommen, dass vielleicht fünf Zitzengummis aus einem Karton von 100 Stück aus einer Charge den Produktionsfehler tragen. Sie halten der für sie vorbestimmten Belastung nicht stand und reißen im beschriebenen, typischen Längsriss. Obwohl nicht alle Zitzengummis einer Charge betroffen sein können, ist es richtig bei einem solchen Vorfall alle Zitzengummis erneut auszutauschen. Schließlich kann man nicht wissen, wie viele Gummis tatsächlich durch den Produktionsfehler geschwächt sind.
2. Falsche Lagerung und Alterung unter Nutzung: Anders als ein Fehler in der Vulkanisation verursachen Fehler in der Lagerung Brüchigkeit und Porosität des Gummimaterials, ebenso wie im Alterungsprozess unter Nutzung. Verursacht wird dies dadurch, dass die Schwefelbrücken im Gummi durch Sauerstoffbrücken ersetzt werden.
Richtig gelagert werden Zitzengummis bzw. alle Gummiteile luftdicht verpackt, trocken und kühl sowie vor direktem Sonnenlicht geschützt. Denn insbesondere Sonnenlicht, hohe Temperaturen und der Einfluss von Ozon begünstigen eine Zersetzung des Materials auch ohne Nutzung. Hersteller geben entsprechende Empfehlungen auf der Verpackung (siehe Foto).
Unter Nutzung lassen der Kontakt zu Milch, Reinigungsmittel sowie die mechanische Belastung und der Kontakt zur Luft das Gummi unaufhaltsam altern (= porös und brüchig werden).
Dementsprechend sind die Empfehlungen zum regelmäßigen Wechsel aller Gummiteile an der Melkanlage zu berücksichtigen! Mehr dazu siehe im Artikel Gepflegtes Gummi lebt länger – Tipps für Pflege und Wechsel.
Hersteller geben klare Empfehlungen zum sachgemäßen Umgang mit den empfindlichen Gummimaterialien für die Melktechnik.
(Bildquelle: Berkemeier, Landwirtschaftsverlag GmbH)
3. Mindesthaltbarkeit: Das Altern von Zitzengummis ohne Nutzung hat – eine sachgemäße Lagerung vorausgesetzt – kaum einen Einfluss auf ein „Reißen“ des Gummis, erklärt Eckhard Schütte.
Dennoch sollten Milcherzeuger und Milcherzeugerinnen beim Einkauf und vor dem Einbau kontrollieren, wann die Gummiteile hergestellt wurden. Hersteller wenden ähnliche Kennzeichnungen zum Produktionsdatum einer Charge an. Dieser Produktionscode findet sich in der Regel eingeprägt am Zitzengummikopf (siehe Foto unten) oder auch aufgedruckt am Zitzengummischaft, erklärt die Expertin für Milchhygiene Dr. Friederike Reinecke (RP Gießen). Nicht immer sind diese Codes selbsterklärend, deswegen rät sie bei Unklarheiten den Anbieter zu kontaktieren.
Doch alle Haltbarkeit hat ihre Grenzen. So geben die Hersteller bzw. die Melktechnikanbieter selbst sicherheitshalber Begrenzungen für das ideale Verbrauchsdatum ihrer Zitzengummis vor.
Eckhard Schütte von Milkrite erklärt: „Wenn Zitzengummis sachgerecht gelagert werden, ist es kein Problem, wenn zwischen Herstellung und Einbau vier Jahre und mehr liegen.“
In der Praxis ist es sicherer, neue Zitzengummis z.B. frühstens drei Monate vor dem Wechseltermin zu kaufen, anstatt sie länger zu lagern.
Dr. Marco Horn, Milchwirtschaftsberater LWK Niederösterreich
Milchwirtschaftsberater Dr. Marco Horn (LWK Niederösterreich) hat bei weiteren Anbietern nachgehakt und die Auskünfte lassen sich wie folgt zusammen fassen:
Die Angabe für Silikon-Zitzengummis von Lely bezüglich des Verbrauchsdatum („best before“) lautet: Ab Produktion hält das Produkt unter sachgemäßer Lagerung ohne Nutzung mindestens 2,5 Jahre.
Die Empfehlung für Zitzengummis von DeLaval bezüglich des Verbrauchsdatum lautet: Produktionsdatum plus 18 Monate, unter optimalen Lagerbedingungen können die Zitzengummis auch länger gelagert werden.
GEA rät generell dazu, Gummiteile auch unter guten Lagerungsbedingungen nicht länger als ein Jahr zu auf dem Betrieb zu lagern. Silikon sei unempfindlicher und könne auch doppelt so lange problemlos gelagert werden.
Siliconform bestätigt dies, und erklärt, dass zwei Jahre Lagerungszeit für Silikonteile unter guten Bedingungen kein Problem darstellen sollte.
Genereller Tipp von Dr. Marco Horn: Da die Lagerungsbedingungen auf den Betrieben nicht immer optimal sicher gestellt werden, sollten sich Milcherzeuger nicht zu früh im Voraus, sondern z.B. erst drei Monate vor dem anstehenden Zitzengummiwechsel mit Material eindecken, um kein Risiko einzugehen. Der Einfluss der erforderlichen Lagerungsbedingungen wird nicht selten von Milcherzeugern unterschätzt.
Bei Lieferung der neuen Ware sollten Milcherzeuger und Milcherzeugerinnen zudem das Produktionsdatum überprüft werden, damit nicht schon zu alte Ware eintrifft.
Der Produktionscode findet sich meistens eingeprägt am Kopf oder aufgedruckt am Schaft der Zitzengummis.
(Bildquelle: Berkemeier, Landwirtschaftsverlag GmbH)
4. Das Zitzengummi passt nicht zu Hülse
Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Verschleißfaktor ist es, dass das Zitzengummi zu der Hülse passt, in der es arbeiten muss, erklärt Eckhard Schütte. Beim Melkvorgang und Reinigen bewegt sich das Zitzengummi einmal pro Sekunde auf und zu. Bei dem dabei erfolgenden Zusammenfalten dehnt sich das Zitzengummi in seinem Durchmesser (Querachse) über den „normalen“ Durchmesser aus.
Wenn die Hülse, in der das Zitzengummi eingespannt ist, nicht passt und zu klein ist, stößt das Zitzengummi an die Innenwandung der Hülse und reibt sich ab. Über die Zeit wird das Gummi an dieser Kontaktstelle immer dünner. Damit steigt parallel die Gefahr, dass das Gummi nach längerer Nutzungszeit an dieser überbeanspruchten Stelle reißt.
Auch bei automatischen Melksystemen gilt: Die Zitzengummis müssen zur Becherhülse passen und regelmäßig kontrolliert und gewechselt werden.
(Bildquelle: Stöcker-Gamigliano, Landwirtschaftsverlag GmbH)
Fazit: Ursache Produktionsfehler, Alter zudem kritisch
Dass in dem geschilderten Praxisfall innerhalb der ersten Betriebsstunde nur wenige Zitzengummis der einen Charge auf eine bestimmte Weise einrissen, deutet in erster Linie auf einen Produktionsfehler in der Vulkanisation hin. Ausgeschlossen werden kann, dass die Zitzengummis nicht zu den Hülsen passten, da der Fehler sofort und nur vereinzelt auftrat und nicht erst nach einigen Wochen.
Fehler in der Lagerung im Betrieb können ebenfalls ausgeschlossen werden. Der Milcherzeuger hatte die Zitzengummis sowie kurzen Milchschläuche selbst nur einige Wochen vor Einbau im Betrieb gelagert und weder Karton noch Beutel geöffnet. Zudem kann er die empfohlenen Lagerungsbedingungen an seinem Aufbewahrungsort einhalten.
Ein nachträglicher Blick auf den Produktionscode der eingerissenen Zitzengummis ergab einen Herstellungs-Jahrgang 2016. Fünf Jahre nach Produktion sind ein Zeitraum, der über dem der allgemeinen Hersteller-Empfehlungen für das Verbrauchsdatum (“best before“) liegt. Wie die Zitzengummis über diesen Zeitraum beim Hersteller und Anbieter gelagert wurden, kann nicht nachvollzogen werden. Nicht auszuschließen ist, dass z.B. eine Tüte (je vier Zitzengummis einzeln verpackt) nicht richtig verschlossen oder Sonnenlicht ausgesetzt war. Das ließ sich rückwirkend auf dem Betrieb nicht mehr feststellen, da zum Einbau die Zitzengummis nach Herstellerempfehlung in einem Behälter mit heißem Wasser eingeweicht wurden – zwecks Praktikabilität aus mehreren Tüten gleichzeitig.
Unabhängig davon, dass das ungenutzte Alter der Zitzengummis kritisch zu bewerten ist, hätten allgemeine Lagerungsfehler oder Alterungsprozesse ein anderes Schadensbild ergeben – eine gleichmäßige Porosität und Brüchigkeit aller Zitzengummis.
Fazit für die Praxis: Lernen können andere Milcherzeuger/innen aus diesem seltenen Praxisfall,
| dass beim Wechsel der Zitzengummis und anderer Gummiteile der Melkanlage nicht nur auf den richtigen Zeitpunkt nach Verschleiß geachtet werden muss, sondern auch auf den Zustand der neuen Ware vor Einbau (Herstellungsdatum, Zustand der Verpackung).
| welchen großen Einfluss die sachgemäße Lagerung von Gummiteilen auf deren Haltbarkeit und Funktionsfähigkeit hat.
Gummiteile einer Melkanlage sind Verschleißteile. Geht man gut mit ihnen um, lässt sich z. B. die Abnutzung der Zitzengummis verlangsamen. Tipps für Pflege und Wechsel.