In der Nähe von Rosenheim sind wir auf einen Fleckviehbetrieb gestoßen, der uns durch seine vielfach unkonventionellen Ideen und seine konsequent kostensparende Produktionsweise beeindruckt hat. Es geht eben auch anders!
Wie, hier soll ein Kuhstall stehen? Als ich kürzlich das erste Mal den Milchkuhbetrieb von Regina und Sebastian Haas im oberbayerischen Schechen bei Rosenheim aufsuchte, zweifelte ich zunächst die Funktionsfähigkeit meines Navigationsgerätes an. Hat es mich doch in die Ortsmitte gelotst und mir direkt neben dem Kirchturm erklärt, dass ich mein Ziel erreicht hätte. Da stand ich nun zwischen der Kirche und einem wunderschön renovierten Bauernhaus, nach einem Milchkuhbetrieb mit 80 Kühen sah das nun überhaupt nicht aus! Ein mit Plaketten beschlagenes Stalltor (Anerkennung für hohe Milchleistungen, DLG-Gütesiegel in Gold, ...) ließ mich dann doch erahnen, dass hier die Kühe untergebracht sind. Der Kuhstall ist nämlich, wie das früher so üblich war, an das Wohnhaus angeflanscht.
Obwohl mir der Berater am Landwirtschaftsamt in Rosenheim den Milchkuhbetrieb mit den Prädikaten „innovativ“ und „zukunftsorientiert“ empfohlen hat, drängen sich mir nun doch leise Zweifel auf. Ist das ein Betrieb, den wir in Elite unseren Lesern vorstellen können? Schon ein paar Minuten später bin ich mir sicher: Auf jeden Fall! Auf dem Betriebsrundgang fällt mir sogleich auf, wie gut der Milchkuhbetrieb durchorganisiert ist. Allerletzte Zweifel verschwinden schnell im Gespräch mit Regina und Sebastian Haas, den beiden jungen Betriebsleitern. Die beiden überzeugen mich durch eine zumindest für süddeutsche Verhältnisse weitgehend untypische Unternehmensstrategie und ihre erfrischend leidenschaftliche und optimistische Art, mit der sie über ihren Betrieb und die Milchgewinnung sprechen.
Rückblick: Im Jahr 2006 hat das jung vermählte Paar den landwirtschaftlichen Betrieb von Sebastian Haas Eltern übernommen – zu gleichen Teilen! Nicht nur, dass Regina Haas so von ihrem ersten Tag an als gleichberechtigte Partnerin in das Familienunternehmen aufgenommen wurde ist untypisch, auch dass sich die Eltern des Betriebsleiters damals vollständig aus der Betriebsführung zurückgezogen haben ist eher die Ausnahme als die Regel. So konnte das junge Paar von Anfang an die eigenen Ideen umsetzen, ohne dass ihnen reingeredet wurde. Allerdings bedeutete dies auch, die volle Verantwortung für den Betrieb zu übernehmen. Besonders für Regina Haas war das ein großer Schritt, erklärt sie rückblickend. Zwar stammt die junge Frau von einem Milchkuhbetrieb, damals arbeitete sie aber in Festanstellung in ihrem erlernten Beruf als Krankenschwester.
Melkstand bei ebay ersteigert
Während der letzten acht Jahre ist viel passiert auf dem Anwesen. Nicht nur, dass vier Kinder die Familie haben wachsen lassen, diverse Bauvorhaben wurden umgesetzt – und das, obwohl die beiden Milchprofis die nur mit der Milchproduktion erwirtschafteten Überschüsse investiert haben. Regina und Sebastian Haas achten penibel darauf, kein Fremdkapital anzuhäufen. Im Gegenteil, in einigen Jahren sollen die noch bestehenden (übernommenen) Altschulden getilgt, der Betrieb vom Fremdkapital befreit sein. Konsequent überlegt das Ehepaar denn auch immer wieder, wie sich Kosten einsparen lassen, ohne dass dies auf Kosten der Arbeitswirtschaft oder zu Lasten der Milchleistung und Tiergesundheit geht.
Manchmal beschreiten sie dann eben auch mal ungewöhnliche Wege: So haben sie ihren 2 x 8 Fischgräten-Melkstand im Jahr 2009 für wenig Geld im Online-Auktionshaus ebay ersteigert. Nur 12.000 € haben sie dafür ausgeben müssen, Transportkosten inbegriffen. „Die Milchpreise waren damals sehr niedrig“, begründet der Betriebsleiter die ungewöhnliche Beschaffungsmaßnahme.
Die Demontage des Melk-stands im niedersächsischen Uelzen und der Transport nach Rosenheim erfolgten in Eigenregie in nur 24 Stunden. Zurück in Rosenheim wurde der Melk-stand zunächst auf dem Boden zwischengelagert. Zwei Hoch-silos mussten noch abgerissen werden, um Platz für das neue Melkzentrum zu schaffen. Das Melkstandgerüst und die Milchleitung ließ die Familie von einem Fachmann installieren, alle übrigen Anschlussarbeiten wurden selbst ausgeführt.
Als Vorwarteraum dient eine Freifläche außerhalb des Stalls, auch das ist untypisch! Die günstige Lösung kommt bei den Bewohnern im Dorf gut an. Immer wieder kommen Kinder und ältere Besucher vorbei, um sich die Kühe anzuschauen.
Arbeitseffizienz wird ganz groß geschrieben!
64 Kühe werden derzeit pro Stunde gemolken (4 Durchgänge x 16 Kühe). Mehr laktierende Kühe sollen es nach dem Willen der Milchprofis auch nicht sein, denn dass würde einen fünften Melkdurchgang erfordern, erklärt mir Sebastian Haas. Schnell bemerkt er meinen skeptisch fragenden Blick und liefert mir sogleich die Begründung, warum nach vier Durchgängen Schluss ist: „Wir haben schon mehr Kühe gemolken, das haben wir aber schnell wieder verworfen, es kostet einfach zu viel Arbeitszeit.“ Arbeitseffizienz wird auf dem Betrieb denn auch groß geschrieben! So werden beispielsweise auch nur so viele weibliche Kälber zur Nachzucht aufgestallt, wie später auch wirklich zum Ersetzen abgehender Kühe benötigt werden. Bei einer durchschnittlichen Remontierungsrate von 20 Prozent verbleiben pro Monat nur zwei Kuhkälber auf dem Hof. Alle übrigen Tiere werden auf dem Miesbacher Kälbermarkt verkauft.
Cleverer Kälberstall
Die Kälber, die auf dem Hof bleiben dürfen, werden im selbst entworfenen Kälberstall, Großraumiglus mit überdachtem Auslauf, untergebracht. In jedem der drei Abteile bzw. Iglus werden max. vier Kälber gehalten. Bewirtschaftet wird der Stall im Rein-Raus-Verfahren. Zum Transport und während des Ausmistens werden die Kälber in eine Transportbox „geschoben“, die mit dem Frontlader versetzt werden kann (auf einer Europalette aufgesetzt, Fotos siehe Elite Online). Eine clevere Lösung, die das Einfangen und Wegsperren der Tiere deutlich erleichtert. Eine betonierte Aufkantung entlang des Futtertisches erlaubt es, den Mist schnell zu laden. Getreideschrot wird auf einem Tischlein ausgestreut („so fressen sie es besser“), Heu und Silage wird auf einen Karren geladen, der auf dem Futtertisch um 45° nach vorne gekippt wird. Die jungen Tiere können sich jederzeit selbst dort bedienen. Der Karren bleibt solange stehen, bis das Futter vollständig aufgefressen ist. Letztlich lassen sich die Kälber so von nur einer Person versorgen, auch an Sonntagen im Festtagsgewand, erklärt mir Sebastian Haas schmunzelnd.
Effizient genutzt ist jedes Gebäude auf dem Hof. Als es vor einigen Jahren im Stall zu eng wurde, ist dieser kurzerhand um eine „Terrasse“ erweitert worden. Entlang der Außenwand wurden zusätzliche Liegeboxen installiert, eine einfache Überdachung bietet Schutz vor Sonne und Regen. Eingestreut wird mit Hilfe eines dreirädrigen Bobmans.
Maschinenhalle für Trockensteher ausgeräumt
Die Maschinenhalle wurde zwischenzeitlich zu Gunsten der Kühe frei geräumt. Heute befindet sich in der Halle der Trockensteherstall (Offenfront). Hier sind zudem die hochtragenden Färsen aufgestallt.
Über viele Maschinen verfügt der Betrieb ohnehin nicht, da sich die Familie einige Maschinen und Geräte mit einem Berufskollegen teilt, um die Kosten gering zu halten. Den Vierkreiselschwader teilen sich Haas übrigens mit drei benachbarten Landwirten. So wundert es mich auch nicht mehr, dass ich auf dem Betrieb auch nur einen Hinterrad angetriebenen Schlepper (kein Allrad!!) vorfinde. „Mehr muss nicht sein“, erklärt mir Sebastian Haas. Der Traktor wird ja schließlich in erster Linie zum Füttern (Futtermisch-wagen) und während der Vegetationsperiode zum Grasschwaden genutzt. Das nenne ich mal konsequent im Hinblick auf Kosteneinsparungen um durchaus auch mutig. Denn immerhin definieren sich im Süden viele Landwirte immer noch allzu gerne über Statussymbole wie PS starke Schlepper.
100 % TMR – aber gute Fruchtbarkeit
Unkonventionelle Wege beschreitet Sebastian Haas auch im Stall: Seinen Fleckviehkühen legt er eine 100 %ige TMR vor – eine arbeitszeitsparende Variante, da das Kraftfutter automatisch vor Fütterungsbeginn dem Mischwagen zugegeben wird. Eine paar Futtersäcke, Förderschnecken und eine Zeitschaltuhr machen es möglich. Sicherlich kann es gefährlich werden, wenn Fleckviehkühe mit einem Leistungsniveau von 8.500 kg mit einer energiereichen Futtermischung versorgt werden. Aber auch wenn ich mir einbilde, dass einige der laktierenden Kühe etwas zu gut in Form sind, scheint das Paar die Herde im Griff zu haben. Anders lassen sich die guten Gesundheits- und Fruchtbarkeitskennzahlen nicht erklären: Der mittlere Zellgehalt bewegt sich im Korridor von 90.000 und 140.000 Zellen/ml, die Zwischenkalbezeit liegt gerade mal bei 378 Tagen, die Remontierungsrate bei 20 Prozent.
Meeting jeden Tag um 11.00 Uhr
Noch längst nicht selbstverständlich in vielen Milchkuhbetrieben ist das partnerschaftliche Handeln in Fragen der Betriebsführung. Auch in diesem Punkt haben Regina und Sebastian Haas einen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen: Jeden Tag um elf Uhr am Vormittag treffen sich die beiden allein zum „Meeting“. Manchmal besprechen sie während einer Tasse Kaffee nur ein paar Kleinigkeiten, an anderen Tagen wird aber auch über Grundlegendes diskutiert. Da sich zu den Mahlzeiten immer eine größere Gemeinschaft in der gemütlichen Küche des geräumigen Bauernhauses versammelt, ist hier für ungestörte Diskussionen unter Betriebsleitern kein Platz.
Auch untypisch: An eine Aufstockung ihrer Milch-kuherde denkt das Ehepaar derzeit trotz absehbarem Quotenende nicht; konkrete Wachstumspläne existieren denn auch (noch) nicht. „Wir sind zufrieden“, erklärt mir Regina Haas. „Uns geht es ja gut, was wollen wir mehr?“ Aber blauäugig sind die beiden Milchprofis dennoch nicht, sie wissen auch, dass auf lange Sicht 80 Kühe wahrscheinlich kein ausreichendes Einkommen mehr garantieren werden. Schließlich haben sie sich schon umgesehen auf der Welt, u.a. in Neuseeland und in Wisconsin – in Regionen also, in denen der Strukturwandel schon deutlich weiter fortgeschritten ist als im beschaulichen Oberbayern. Doch in den kommenden Jahren steht die Familie im Vordergrund. Auch wenn sich die Großeltern gerne mal während der Melkzeiten um die Kleinsten kümmern, vier Kinder im Alter von zwei bis acht Jahren kosten Zeit (und Nerven). Und um 18.00 Uhr soll auch künftig täglich Feierabend sein! „In zehn Jahren sehen wir weiter“, erklärt Regina Haas, dann dürfte sich auch so langsam abzeichnen, ob eines der vier Kinder ernsthaftes Interesse zeigt, in die Milchproduktion einzusteigen: „Jedes darf, keines muss!“
Herdenaufstockung vorerst nicht geplant
Wenn mir jemand von einem Milchviehbetrieb erzählen würde, dessen Kühe in einem bereits mehrmals umgebauten Altgebäude nur wenige Meter vom Kirchturm entfernt untergebracht sind, der Nachbar mit seinem Wohnhaus bereits bis an den Rand der Mistplatte vorgedrungen ist, der Kuhstall bereits mehrmals umgebaut wurde und die Flächenausstattung von 40 ha kein weiteres Herdenwachstum zulässt, dann würde ich spontan eher an einen aufgebenden als an einen zukunftsfähigen Milchkuhbetrieb denken. Dass Regina und Sebastian Haas trotz all dieser strukturellen Nachteile jedoch derart zuversichtlich in die Zukunft blicken, überrascht mich letztlich dann aber doch nicht. Auf dem Betrieb überwiegt eine positive Grundstimmung und Zufriedenheit. Das liegt sicherlich vor allem an der Leidenschaft, mit der die beiden zu Werke gehen. Aber auch daran, dass es aufgrund der vielen cleveren und arbeitssparenden Detaillösungen einfach rund läuft!
G. Veauthier