Es ist ein regnerischer Morgen in Niedersachsen. Doch als Frank Cordes aus der Tür seines Wohnhauses tritt, geht ein bisschen die Sonne auf: „Schön, dass du uns gefunden hast!“ Diese Herzlichkeit sowie das Bestreben, es den Kühen so gut wie möglich gehen zu lassen, zeichnet die Betriebsführung des Milchkuhhalters aus und zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Management.
Kühe gab’s schon immer
Das Milchvieh begeistert Frank schon seit seiner Kindheit. 1995 übernahm er den Hof...
Es ist ein regnerischer Morgen in Niedersachsen. Doch als Frank Cordes aus der Tür seines Wohnhauses tritt, geht ein bisschen die Sonne auf: „Schön, dass du uns gefunden hast!“ Diese Herzlichkeit sowie das Bestreben, es den Kühen so gut wie möglich gehen zu lassen, zeichnet die Betriebsführung des Milchkuhhalters aus und zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Management.
Kühe gab’s schon immer
Das Milchvieh begeistert Frank schon seit seiner Kindheit. 1995 übernahm er den Hof von seinem Vater, damals mit 39 ha Acker- und Grünland sowie 24 Kühen in Anbindehaltung. Nach und nach kamen mehr Tiere dazu. Als 65 Kühe im Stall standen, der bereits erweitert und zum Boxenlaufstall umgebaut worden war, entschieden sich Frank Cordes und seine Frau Marina für den Einbau eines Melkroboters. „Das Ziel, was wir damit verfolgt haben, war ganz klar eine Arbeitserleichterung im Stall. Leider hat das bei uns nicht gut funktioniert und die Milchleistung ist ziemlich eingebrochen. Zum Glück war eine ganz reibungslose Einigung mit dem Hersteller möglich.“
Der Roboter wurde wieder ausgebaut, doch das Ziel der Arbeitserleichterung hatten Frank und Marina noch nicht aus den Augen verloren: „Weil es über die Technisierung nicht funktioniert hat, haben wir beschlossen, Mitarbeiter einzustellen. Dafür brauchten wir aber auch mehr Kühe, damit die Rechnung aufgeht.“ 2010, direkt nach dem Ausbau des Roboters, wurde ein neues Melkhaus errichtet, 2011 eine Kommanditgesellschaft (KG) mit Hans Hermann Tietjen gegründet und 2012 mit der Stallerweiterung begonnen. Nach knapp einem Jahr zogen 450 weitere Kühe in den neuen, zweireihigen Boxenlaufstall ein. Insgesamt können darin jetzt 750 Tiere gehalten werden. Die Trockensteher und Transitkühe wurden in Altgebäude umgestallt, die noch als Zwei- und Vierreiher bzw. als Kammställe gebaut worden waren.
„Im März 2013 kam Jan als Herdenmanager zu uns. Neben Thorsten, der mittlerweile schon sechs Jahre bei uns arbeitet, war er unser zweiter Mitarbeiter in diesem Bereich. Zwar zogen erst im Sommer desselben Jahres die Kühe in den neuen Stall um, aber uns war wichtig, dass Jan schon den Umstellungsprozess mit begleitet. Das war eine gute Entscheidung“, erinnert sich Frank Cordes und ergänzt: „Marina, Hans Hermann und ich sind sehr zufrieden mit Jan. Er hat ein großes Herz für Kühe und ein gutes Händchen im Umgang mit ihnen.“ Nach Thorsten Rosenbrock und Jan Intemann wurden noch Ylva Kaestner, Femke Lüdemann und Gesa Lüschen für das Herdenmanagement eingestellt.
Ein ausgeklügeltes Schichtsystem
Mittlerweile arbeiten die fünf Herdenmanager nach folgendem System, dass sich im dreiwöchigen Rhythmus wiederholt: Einer aus dem Team, z.B. Ylva, startet mit einer Woche Spätschicht. Darauf folgt ein Wochenende, an dem sie sowohl in der Früh- als auch Spätschicht arbeitet. In der Woche danach hat sie Frühschicht und am folgenden Wochenende frei. Nach diesem freien Wochenende übernimmt sie am Montag die Frühschicht und steht für Routinearbeiten zur Verfügung. Dienstag- und Donnerstagnachmittag kümmert sie sich um die Klauenpflege bzw. das Klauenbad. Beide Aufgaben gehören zu ihrem festen Zuständigkeitsbereich, die auch im Rahmen ihrer üblichen Schichten von Ylva erledigt werden. An den übrigen Tagen dieser Woche inklusive dem Wochenende hat Ylva frei.
Zusätzlich gibt es noch den Sechs-Uhr-Dienst, der auch abwechselnd von allen Herdenmanagern besetzt wird und als Unterstützung der Frühschicht dient. Ziel dieses Schichtsystems ist es, dass jeder aus dem Team alle drei Wochen einen Wochenenddienst übernimmt. Gleichzeitig soll es gewährleisten, dass jedem Mitglied des Herdenmanagerteams sechs freie Tage pro dreiwöchigem Rhythmus zur Verfügung stehen und Überstunden so vermieden oder zügig ausgeglichen werden können.
Die Aufgabenbereiche zur Versorgung der insgesamt 1.300 Tiere haben die fünf Herdenmanager aufgeteilt: Jan hat bei der Truppe den Hut auf und ist hauptsächlich für Tierkontrollen, Reproduktion, Einhaltung der Melkroutine und Kontrolle des Siloanschnittes zuständig. Thorsten übernimmt hauptverantwortlich die Klauenpflege: „So müssen wir keinen externen Klauenpfleger kommen lassen. Jede Kuh bekommt am 21. und am 110. Melktag sowie zwei Wochen vor dem Trockenstellen die Klauen geschnitten“, erklärt er. Direkte Vertreterin von Jan und Thorsten ist Ylva. Sie organisiert auch die die kleineren Aufgaben im Betrieb. Konkret bedeutet das: Chefin Marina Lindhorst-Cordes teilt die Schichten für das Melken ein. Nicht eingeteilte Melker übernehmen kleinere Arbeiten der Innenwirtschaft wie das Einstreuen der Liegeboxen, Ausmisten bzw. Waschen der Kälberiglus, Fegen des Hofs, Silo abdecken, Tränken reinigen und Mülleimer leeren. Wer hier was macht, bestimmt Ylva. Die Medikamentenverwaltung sowie Dokumentation und das Versenden der Ohrmarkenstanzen ist Femkes Aufgabe, die gelernte Tierarzthelferin ist. Erst vor Kurzem kam noch Gesa dazu, der erst noch feste Aufgaben zugeteilt werden.
Wertschätzung als Grundsatz
„Unsere Herdenmanager haben jederzeit die Möglichkeit, sich vor allem in ihren hauptsächlichen Zuständigkeitsbereichen wie z.B. Klauenpflege oder Reproduktion fortzubilden. Hinzu kommt, dass wir die Anschaffung neuer Arbeitsgeräte in diesen Bereichen gemeinsam besprechen. Thorsten hat mich z.B. vom neuen, hydraulisch verstellbaren Klauenpflegestand überzeugt“, berichtet der Betriebsleiter. Jeden Donnerstagvormittag treffen sich die Chefs und Herdenmanager. Dann wird besprochen, was aktuell anliegt. Hier kann jeder neue Ideen oder auch bestehende Probleme anbringen. In dieser Runde wird auch geklärt, wie häufig beispielsweise die Reinigung der Tränken erfolgen soll.
Doch wie bringt man junge, gut ausgebildete Menschen dazu, ausgerechnet auf einem Milchviehbetrieb zu arbeiten? Die Antwort, die Frank Cordes darauf hat, ist ebenso simpel wie komplex: „Wenn ich junge, gute Leute mit Kuhverstand für unseren Betrieb begeistern will, dann muss ich ihnen auch einen attraktiven Arbeitsplatz bieten.“ Natürlich gehört dazu eine angemessene Bezahlung, weitgehend feste Arbeitszeiten sowie Urlaubsanspruch, laut Cordes aber noch viel mehr: „Als Chef muss ich mich fragen, welche Philosophie auf unserem Betrieb gelebt werden soll. Wir wollen mit einer bestmöglichen Tierbetreuung eine hohe und dabei stabile Milchleistung erwirtschaften. Die Basis dafür ist ein gutes Betriebsklima, das wir vor allem durch einen wertschätzenden Umgang miteinander erreichen. Ich glaube, nicht allen meiner Berufskollegen ist das bewusst.“
Auch im Gespräch mit Herdenmanager Jan Intemann wird deutlich, dass er zufrieden mit seinem Arbeitsplatz ist: „Natürlich diskutieren Frank und ich schon mal Dinge aus. Dennoch kann ich meine Kritik, Wünsche oder Verbesserungsvorschläge jederzeit äußern und wir haben bisher jedes Mal eine Lösung gefunden, mit der alle einverstanden waren.“
Auf Soja wird verzichtet
Doch für eine hohe Milchleistung müssen die Tiere nicht nur gut betreut, sondern auch bedarfsgerecht gefüttert werden. Auf dem Milchhof Reeßum wird seit diesem Jahr bei der Fütterung auf gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sowie auf Soja verzichtet. Stattdessen kommt ausschließlich Raps als Proteinfuttermittel zum Einsatz. Zudem wird die Ration der hochleistenden Gruppen mit ätherischen Ölen ergänzt, da sie die Eiweißverfügbarkeit verbessern.
Wichtig ist auch, dass die Kühe uneingeschränkten Zugang zum Futter haben. Deshalb haben sich die drei Chefs beim Neubau für einen zweireihigen Boxenlaufstall entschieden: „Einige Berater haben uns aufgrund der Mehrkosten von 750 € pro Kuhplatz davon abgeraten. Wir haben es trotzdem umgesetzt, weil so das Verhältnis von Fressplatz zu Tier sowie von Liegeplatz zu Tier nahezu 1:1 ist. Jede Kuh kann also jederzeit fressen bzw. liegen. Das trägt sichtbar zu mehr Tierwohl bei.“ Die Berater, mit denen sie den Stallbau schließlich verwirklicht haben, waren Dietrich Benninger von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen und ihr Tierarzt Dr. Otto von Ahn. Anmerkung: Beide sind mittlerweile im Ruhestand.
Marina Lindhorst-Cordes fügt hinzu: „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir die Tiere einsperren, um mit ihrer Milch Geld zu verdienen. Deshalb sind wir es ihnen unserer Meinung nach schuldig, ihre Haltung so angenehm wie möglich zu gestalten.“ Um auch die Wege für die Mitarbeiter in dem insgesamt 176 m langen Stall möglichst kurz zu halten, wurde das Stallbüro in der Mitte eingerichtet. Dort befinden sich der Stallcomputer, die Unterlagen für die tägliche Arbeit sowie die Besamungsutensilien. Direkt daran angeschlossen sind die großzügigen Strohbuchten, in denen die Kühe kalben, der Klauenpflege- sowie der Behandlungsstand.
Die Prämisse, dass es ihren Tieren an nichts fehlen soll, gilt für alle: „Wir ziehen unsere Kälber und Jungtiere selbst auf“, erklärt Marina Lindhorst-Cordes, „die Kälber füttern wir ad libitum zuerst mit Vollmilch und später mit Milchaustauscher.“ Auch hier gibt es wieder eine Besonderheit: „Jedes Tier, das auf diesem Betrieb lebend zur Welt kommt, wird mit allem versorgt, was es braucht.“ In ihrer Stimme schwingt Stolz mit, als sie hinzufügt: „Bei uns wiegen die Bullen, wenn wir sie im Alter von zwei bis drei Wochen abgeben, meist um die 60 Kilo. Entsprechend gut werden sie bezahlt und von unserem Viehhändler gern genommen.“ Ein männliches Kreuzungstier zwischen Holstein Friesian und blau-weißem Belgier hat einmal alle Erwartungen übertroffen und wog sogar stolze 78 Kilo.
Seit dem Einzug in den neuen Stall vor vier Jahren ist die Zahl der Kühe von 650 auf 755 gestiegen. Gemolken werden sie drei Mal täglich: morgens von fünf bis elf, mittags ab eins bis abends um sieben und abends ab neun bis nachts um drei Uhr. Bei den ganz frisch abgekalbten Tieren und anderen Kühen, die auf Stroh stehen, ist ein Herdenmanager dabei.
Durchschnitt liegt bei 38 Litern
Frank Cordes‘ Plan für eine hohe, stabile Milchleistung geht auf: Seit 2016 steigt sie, momentan liegt der Herdenschnitt bei 12.000 kg Milch pro Kuh und Jahr. Gemolken wird in einem Swing-Over-Melkstand mit 20 Melkplätzen, den Berater Bernd Scheibel zum Zeitpunkt des Neubaus empfohlen hatte. „Immerhin melken wir darin momentan 38 kg pro Kuh und Tag. Kann also nicht so schlecht sein“, grinst Cordes. „Meiner Meinung nach ist der zweireihige Boxenlaufstall an diesen Milchleistungen maßgeblich beteiligt.“ Es klingt fast ein bisschen zu schön, um wahr zu sein: zufriedene Mitarbeiter, gesunde Kühe, hohe Milchleistungen, fitte Kälber. Manch einer mag sich fragen, ob Frank Cordes einen Trick für all das hat. Als ich ihn danach frage, grinst er übers ganze Gesicht: „Landwirtschaft und Milchkuhhaltung sind meine Leidenschaft. Ich wollte nie was anderes machen.“ Und man sieht ihm an, dass er es genau so meint.K. Kortendieck
Wir waren 2021 erneut auf dem Milchof Reeßum zu Besuch:
Erfolgreich Mitarbeiter führen: Auf dem Milchhof Reeßum gibt es klare Aufgabenzuteilungen und Verantwortungsbereiche, aber vor allem gegenseitigen Respekt!