Ist die viel beworbene Strategie „Beef on Dairy“ tatsächlich ein Garant für höhere Kälbererlöse und damit einer besseren Wirtschaftlichkeit? Darüber ist man sich in der Branche uneinig. Denn auch Kreuzungskälber erzielen nicht (mehr) automatisch höhere Preise und der Einfluss der tendenziell schwereren Kälber auf die austragenden Kühe wird mehr und mehr kritisch beäugt.
Wir haben Experten für Vermarktung, Tiergesundheit und Zucht nach ihrer Meinung und Tipps zu dieser Strategie gefragt.
Mäster wollen Qualitätskälber
Einen Markt für die Kreuzungskälber aus Milchkuhbetrieben gibt es. Hier ist sich Klemens Oechtering, Abteilungsleiter Vermarktung (Rinder Union West), zusammen mit Spezialberatern für Bullenmast einig.
Besonders Jungbullen-Mäster, die kontinuierlich einstallen, interessieren sich für Gebrauchskreuzungen. Egal, ob sie auf der Auktion oder ab Hof kaufen. Wenn die Tiere gut entwickelt sind – die Empfehlung für die Absetzerauktion lautet 90 kg Lebendgewicht – dann sind für Holstein Frisian (HF) x Weißblaue Belgier (WBB) Preise zwischen 400 € bis 550 € für männliche und 150 € bis 300 € für weibliche Absetzer möglich.
Damit können diese zwar nach wie vor mehr erlösen als Holsteinkälber, jedoch ist die Spannweite auch hier groß. Der Grund ist nachvollziehbar, der Preis richtet sich neben dem Angebot nach der individuellen Qualität: Je besser ein Kalb in Kondition und Gesundheit dasteht, desto höher ist sein Leistungspotenzial und damit sein Wert. Die Fleischleistung ist genetisch beeinflusst, aber auch Mäster wissen eine gute Kolostrumversorgung und intensive Milchtränke auf den Herkunftsbetrieben der Kälber wegen der positiven Effekte zu schätzen! Und das honorieren die Mäster bzw. Händler im Einkauf – bei jeder Rasse.
Weibliche Gebrauchskreuzungen sind für die Färsenmast gefragt, deren Erlöse liegen für gut entwickelte Tiere dicht an den Schlachtbullenpreisen. In die Kälbermast gehen von den Kreuzungen nur schwach entwickelte Tiere, männlich wie weiblich.
Einheitlichkeit gewünscht
Beim Angebot an Gebrauchskreuzungen überwiegt heute Holstein x WBB mit einem Anteil von 80 bis 90 %. Diese Strategie ist demnach auf vielen Betrieben etabliert. Gründe hierfür dürften sein, dass die Elternlinien bei den Weißblauen über ihren bereits langen Einsatz sicherer beurteilt werden können und sich die Kreuzungstiere als unkompliziert im Umgang beweisen.
Kreuzungen mit anderen Rassen nehmen einen kleineren Teil im Angebot ein, auch wenn hier Vorteile gegenüber „Weißblau” gesehen werden. So testet man bei der Rinderunion Baden-Württemberg für mehr Körperlänge und härtere Fundamente (Vollspalten-Tauglichkeit) derzeit British Blue. Zwecks Leichtkalbigkeit fassen andere die Kreuzung mit Angus, Pimonteser oder INRA 95 ins Auge. Neu eingeführte Alternativen haben es jedoch schwer am Markt: Die Mäster möchten sich auf bewährte Genetik verlassen, so wie Milchkuhhalter sich auf ausgeschriebene Leichtkalbigkeit. Bereits ein rot-weißes HF x WBB-Kalb erzielt aufgrund der ungewöhnlichen Farbe einen geringeren Preis als ein schwarz-weißes.
Bullenmäster, die stallweise im Rein-Raus arbeiten und damit durchaus über 100 Kälber oder Fresser auf einmal einstallen, finden ihre erforderlichen großen Partien bisher eher am Markt für reinrassige Fleckvieh oder Holsteins. Ihr Kaufverhalten hat einen guten Grund: In Genetik, Alter und Entwicklung sowie im Gesundheitsstatus einheitliche Tiere können in der Mast einfacher und somit erfolgreicher als Herde geführt werden. Bei dem kleinteiligen Angebot an „bunten“ Gebrauchskälbern ist es schwierig, diese Kriterien mit der gewünschten Stückzahl zu vereinbaren.
Milcherzeuger, die gute Erlöse mit ihren Verkaufskälbern generieren wollen, müssen sich den Interessen der Abnehmer widmen. Das betrifft auch Bio-Milcherzeuger, da diese ihre Mastkälber bis auf seltene Ausnahmen (Bruder-Projekte) in die konventionelle Mast vermarkten. Das heißt für die alltägliche Praxis:
- Verkaufskälber müssen intensiv versorgt werden (Kolostrum, Impfung, Tränke). Gerade bei Gebrauchskreuzungen bietet es sich hinsichtlich höherer Erlöse an, die Kälber erst später bzw. nach dem Absetzen abzugeben. Das ist nicht vereinbar damit, wenn die Kälber möglichst schnell aus dem Betrieb sollen.
- Bei der Anpaarung ist zu berücksichtigen, welche Nutzkälber in der Region gefragt sind. Neben Gebrauchskreuzungen mit einer passenden Fleischrasse können das auch reinrassige Tiere sein! Direkte Kooperationen mit Mastbetrieben bieten ebenfalls Chancen. Sie setzen aber regelmäßig Kälber von einheitlicher Qualität und Anzahl voraus.
Auf Kosten der Leistung?
Ob die Strategie Fleischrasse auf Milchkuh aufgeht, hängt nicht allein vom Kälbermarkt ab, sondern auch davon, wie die Kühe die Anpaarung wegstecken. Trächtigkeiten und Geburten von großen Kälbern beeinflussen die Leistung und Gesundheit der austragenden Kühe – darüber sind sich Dr. Ulrich Janowitz, Stationstierarzt der RUW und der auf Fruchtbarkeit spezialisierte Tierarzt Dr. Christian Niewöhner einig.
Für die Versorgung eines schweren Kalbes benötige die Kuh bereits in der Spätträchtigkeit mehr Energie. Zudem wird der Bauchraum zusätzlich begrenzt, was sich schon vor der Geburt negativ auf die Futteraufnahme und damit auf die Energieversorgung auswirkt. Daneben verläuft die Geburt oft schwerer. Auswertungen der Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung (vit) bestätigen das: Die Totgeburtenrate ist bei WBB-Kreuzungskälbern um ca. ein Drittel und der Anteil an Schwergeburten dreimal höher als bei reinrassigen HF-Kälbern.
Das bedingt, dass der Kuh ein möglichst komplikationsloser Laktationsstart erschwert wird und sich das Energiedefizit in der Frühlaktation verschärft. Daraus ergeben sich wiederum ein geschwächtes Immunsystem und Folgeerkankungen. Ein großes Risiko besteht vor allem darin, dass sich die Geburtsorgane aufgrund von Geburtsverletzungen schlecht zurückbilden, was häufig zu Gebärmutterentzündungen und in Folge zu unbefriedigender Fruchtbarkeit führt. Die rund 20 % höheren Abgangsraten in der Laktation sowie der Rückgang der durchschnittlichen Milchleistung aufgrund der Abgänge (!) sind dann eine logische Konsequenz. Diese Einbußen kann der kurzfristige Mehrerlös für ein schwer geborenes Kreuzungskalb bei Weitem nicht auffangen. Dazu kommt, dass schwer geborene Kälber sich meist selbst schlechter entwickeln. Für die alltägliche Praxis bedeutet dies Folgendes:
- Milchkuhhalter, die ihre Kühe mit Fleischrassen besamen, müssen das Risiko von häufigeren Geburtsproblemen tragen. Das bedeutet, dass sie mehr Zeitaufwand und Know-how für die Geburtsüberwachung und die Betreuung der Kühe in der Frühlaktation investieren müssen, um die Verluste gering zu halten.
Bullenauswahl: Was passt zusammen?
Um Schwergeburten inklusive Folgen für die Kuh bei der Gebrauchskreuzung zu vermeiden, gelten bei der Bullenauswahl wichtige Kriterien. Die Zuchtberater Veronika Lammers vom Verein Ostfriesischer Stammviehzüchter (VOST) und Patrick Lauber vom Zuchtverband Qnetics sind einer Meinung: Es sollten ausschließlich nachkommengeprüfte Bullen eingesetzt werden, die auf einen leichten oder mindestens normalen Geburtsverlauf getestet sind (Kalbeverlauf direkt).
Üblicherweise wird bei Fleischrassen auch das Geburtsgewicht (GGE) ausgewiesen, welches beim Einsatz auf Milchrassen niedrig sein sollte. Grundsätzlich ist der Kalbeverlauf bei Limousin oder Angus aufgrund der geringeren Fleischleistung leichter als bei WBB. Dennoch bleibt immer ein Restrisiko.
Eine pauschale Empfehlung zum Einsatz von Fleischrassen auf Milchrassen zu liefern, ist daher schwierig. „Wenn der Betrieb wenig Probleme mit dem Fütterungs- und Geburtsmanagement, schweren Kalbungen, Totgeburten oder Nachgeburtsverhaltungen hat, empfehle ich einen nachkommengeprüften WBB, vor allem aufgrund der höheren Verkaufserlöse. Wer keine guten Erfahrungen damit hat, kann besser mit Limousin oder Angus arbeiten“, sagt Veronika Lammers. Fleischrassen als Deckbulle zu nutzen, lehnen beide Experten als „zu risikoreich” ab!
Außerdem sollten Landwirte hinsichtlich Risiken im Geburtsverlauf von Kuh zu Kuh entscheiden, ob eine Fleischrassen-Besamung sinnvoll ist oder nicht. Die Beurteilung der Kuh für eine solche Anpaarung ist ein entscheidender Faktor, dem laut Veronika Lammers noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Generell sind Fleischrasse-Besamungen ausschließlich bei Kühen, zum zweiten oder dritten Kalb, angeraten. Für Färsen und sehr alte Kühe sollte man bei (gesexten) Holsteinbullen bleiben.
Neben dem Alter der Kuh sollten vor allem ihre Kalbeeigenschaften sowie ihr züchterischer Wert bedacht werden. Tipp: Bei genomisch untersuchten Tieren ist es einfacher, die passenden Tiere für die Gebrauchskreuzung auszuwählen. Nicht mit Fleischrassen belegt werden demnach Kühe, die
- zur Verfettung neigen (verengte Geburtswege),
- ein schmales Becken aufweisen,
- für schwere Geburten bereits bekannt sind,
- einen negativen Zuchtwert für den maternalen Kalbeverlauf (RZkm) aufweisen.
Auch bei anderen Milchrassen sind Gebrauchskreuzungen gängig. Etwa werden Angler und Braunvieh häufig mit WBB besamt. Allerdings bezahlen Mäster die reinrassigen Bullenkälber hier aufgrund einer etwas besseren Bemuskelung gegenüber Holsteinkälbern im Durchschnitt ohnehin besser. Bei der Auswahl von Bullen und Kühen gelten dieselben Kriterien wie bei Holsteins. Auch bei Jerseys sind Fleischrasse-Kreuzungen (ab dem dritten Kalb!) möglich. Tatsächlich wird auch hier meistens auf WBB gesetzt.
Exkurs: Fleischrassebullen sind bessere Befruchter?
Ein häufiges Argument „pro Fleischrasse“ ist die Befruchtungsleistung. Ob Fleischrassen tatsächlich bessere Befruchter sind, kann aber nicht eindeutig beantwortet werden. „Es gibt Fleischrasse-Bullen, die zu den besten Befruchtern über alle Rassen hinweg gehören. Das gilt meist jedoch nicht für WBB. Tendenziell liegt deren Potenzial hier eher unter dem anderer Fleischrassen“, erklärt Dr. Janowitz. Erstaunlicherweise führt ein Rassewechsel bei der Besamung dennoch manchmal noch zur erwünschten Trächtigkeit.
Fazit
Wer mit Gebrauchskreuzungen erfolgreich arbeiten möchte, braucht eine zielgerichtete Anpaarung und ein intensives Kalbemanagement. Andernfalls übersteigen die Verluste den höheren Erlös für das Kalb schnell. „Beef on Dairy” ist eben kein Garant! Und aus Vermarktungssicht: Einige Beteiligte sehen die Problematik am Markt für Kälber (und Rinder) darin, dass das Angebot schlicht zu groß ist. Als eine langfristigere Lösung wird daher die Produktion von weniger Kälbern in den Milchkuhbetrieben gehandelt. Die dafür nötige längere Zwischenkalbezeit erfordert jedoch neue Strategien in Management und Zucht (Persistenz).