Kälberaufzucht

Tränkekurven selbst einstellen

Überall werden die Kälber ein bisschen anders getränkt. Gibt es so etwas wie den optimalen Tränkeplan? Und wie findet man den?

Gefühlt hat jeder Betrieb ein eigenes Erfolgsrezept, wenn es um das Tränken der Kälber geht. Die einen tränken restriktiv, andere ad libitum. Die Tränkedauer und das Absetzregime unterscheiden sich: Je nachdem, wie es sich arbeitswirtschaftlich gestalten lässt, ob händisch oder mit Tränkeautomaten gearbeitet wird.

Dr. Jason Hayer

Versuchsleiter Hofgut Neumühle

Diese Erkenntnis hatte auch Versuchsleiter Dr. Jason Hayer vom Hofgut Neumühle. Im Jahr 2021 befragte er für eine Studie 42 Betriebe zu ihren Tränkeplänen. Was herauskam ist, dass sich nahezu alle Tränkekurven voneinander unterschieden: 42 Betriebe, 41 unterschiedliche Tränkepläne. „Wir waren schon sehr verwundert über die hohe Varianz“, berichtet Dr. Jason Hayer. Vor allem, weil einige Tränkepläne nicht den aktuellen Empfehlungen entsprachen. 26,2 % der Tiere erhielten im Durchschnitt weniger als sechs Liter pro Tag. Das durchschnittliche Absetzalter der 42 Betriebe lag bei elf Wochen.
„Den einen perfekten Tränkeplan gibt es natürlich nicht. Dafür sind die Gegebenheiten, aber auch die Ziele der Betriebe zu unterschiedlich und die Wissenschaft hat bei Weitem noch nicht alle offenen Fragen dazu beantwortet“, sagt Dr. Jason Hayer. Wer Kälber gesund und stressfrei aufziehen möchte, sollte sich aber an einige Standards halten und den Erfolg des eigenen Tränkeplans prüfen.

Zwölf Liter, zwölf Wochen

Das absolute Minimum ist, dass der Nährstoffbedarf der Kälber gedeckt ist. Eine Faustformel lautet: mindestens 15 % des Körpergewichts an Milch. Bei einem 45 kg schweren Kalb sind das knapp sieben Liter. Je mehr Tränke man zur Verfügung stellt, desto besser nutzt man die Wachstumspotenziale aus. Die Empfehlungen sind:
Nach dem Kolostrum direkt mit viel Tränke (optimalerweise Transitmilch) einsteigen und dem Kalb so viel an­bieten, wie es saufen möchte. Nicht die Tränkemenge langsam steigern. Auch wenn nicht jedes Kalb am Anfang die gesamte angebotene Tränke abruft und man Milch verwerfen muss. Kälber, die diese Menge aufnehmen können, sollten nicht gebremst werden. Es zahlt sich aus …
Kälber sollten nicht hungern müssen. Bei zu wenig Tränke kommt es zu Unruhe, gegenseitigem Besaugen oder vielen Besuchen des Tränkeautomaten ohne Anrecht. „Es ist nicht unüblich, dass Kälber den Automaten zwanzig Mal pro Tag aufsuchen, ohne Tränke abrufen zu können. Das ist ein deutliches Anzeichen für Frust und Hunger.“ Versuche haben gezeigt, dass die Zahl der Besuche ohne Anrecht ab einer Tränkemenge von acht bis zehn Litern pro Tag ­deutlich abnimmt. Jason Hayer empfiehlt eine Menge von mindestens acht, besser zehn oder zwölf Litern.

Am Tränkeautomat lassen sich Tränkekurven mit wenigen Klicks anpassen. (Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH, Ostermann-Palz)

Langsam und spät

Das Abtränken sollte spät und langsam erfolgen. Die Empfehlung ist mindestens bis zur 12. Woche tränken – besser länger z. B. bis zur 14. oder 16. Lebens­woche. Wenn es möglich ist, sollte man immer tierindividuell abtränken bzw. sich am jüngsten Kalb der Gruppe orientieren. Dafür lohnt es sich sowohl die Körperkondition der Tiere, als auch ihre Kraftfutter bzw. TMR-Aufnahme zu kontrollieren.
Absetzen bedeutet immer Stress für das Kalb, weil es deutlich früher passiert als in der Natur. Wer ganz intensiv anfängt und dann plötzlich runtergeht, erzeugt Stress. ­Lineares oder stufenweises Absetzen ist deshalb sinnvoll. Die Stufen sollten nicht zu groß sein und die Tränkemenge z. B. plötzlich um drei Liter zurückgehen. Auch nur sehr kleine Milchportionen (< 1 l) anzubieten sowie das Verdünnen der Tränke ist nicht empfehlenswert.
Als Beispiel der Tränkeplan vom Hofgut Neumühle: 12 l bis zur achten Lebenswoche, die ersten fünf Tage Muttermilch, dann Umstieg auf 1,68 kg MAT pro Tag, 140 g MAT/l. Nach der achten ­Lebenswoche folgt ein langsames, schrittweises Abtränken bis zur 14. Lebenswoche. Parallel zur Tränke wird ab dem ersten Tag immer Wasser, TMR und Heu angeboten!

Wasser sollte ab dem ersten Lebenstag angeboten werden! (Bildquelle: Thiemann)

Erfolg überprüfen

Um zu prüfen, ob der Tränkeplan auf dem Betrieb erfolgreich ist, kann man Indikatoren nutzen. Dazu gehört:
  • Das Aussehen der Kälber. Das bedeutet: glattes, glänzendes Fell, gefüllte Bäuche (keine Hungergruben) und eine gesunde Körperkondition.
  • Die Tageszunahmen: Bei Holsteinkälbern ist die goldene Marke in der Aufzucht die 1.000 g Tageszunahmen zu knacken. Die Zunahmen sollten dabei konstant sein. Wenn beispielsweise nach dem Wechsel von der Einzel- in die Gruppenhaltung die Zunahmen zurückgehen, muss diese Phase stressfreier für die Kleinen gestaltet werden. Wer einen massiven Absetzknick beobachtet (Kälber können in der Phase sogar Körpergewicht verlieren), sollte das Runterfahren der Tränke z. B. langsamer oder später machen und die TMR und Kraftfutteraufnahme kontrollieren.
  • Das Tierverhalten: Unruhige Kälber, gegenseitiges Besaugen, Besuche des Tränkeautomaten ohne Anrecht sind Indikatoren für Stress bzw. Hunger.

Gut zu Wissen:

Mit zunehmender Tränkemenge wird der Kot dünnflüssiger. Das ist i. d. R. aber kein Durchfall, sondern normal, da die Tiere mit mehr Milch mehr Flüssigkeit aufnehmen, welche auch über den Kot ausgeschieden wird. Wer den Tränkeplan anpasst und etwas höhere Mengen vertränkt, darf sich nicht beunruhigen lassen, wenn der Kot nicht mehr so fest geformt ist.

Erst wiegen, dann Tränkekurve einstellen

Wie erstellt man eine Tränkekurve, die zu den eigenen Kälbern bzw. zur Genetik passt? Diese Frage beschäftigte Janina Schulz, als sie das Herdenmanagement in der Lindtorf eG (Sachsen-Anhalt) übernahm.

Janina Schulz

Milchproduktion Lindtorf eG

Ein Berater riet ihr, die Kälber regelmäßig bei der Geburt und dann danach alle 14 Tage zu wiegen. Stagnierten die Tageszunahmen oder zeigten sich sogar Gewichtsrückgänge, justierte sie die Tränkekurve nach. So verlängerte sie z. B. die Tränkeperiode um eine Woche auf zwölf Wochen, um den Absetzknick zu verhindern. Durch das Wiegen stellte sie auch fest, dass die Kälber von der Kuhration zu wenig fraßen. Die Umstellung auf eine Trocken-TMR und einen Futterautomaten führte dann zu einer positiven Gewichtsentwicklung. Inzwischen erhalten die Kälber bis zum 6. Lebensmonat eine Trocken-TMR.

Nicht nur einzelne Kälber wiegen

„Wichtig ist dabei, dass man nicht nur einzelne Kälber, sondern alle wiegt, um eine realistische Einschätzung zu bekommen“, erklärt die Betriebsleiterin. Das bedeutete viel Arbeit, denn die Lindtorf eG hält 1.700 Kühe. „Aber der Aufwand lohnt sich!“ Inzwischen wiegt sie die Kälber nicht mehr regelmäßig, sondern nur noch, wenn sie sich ihrer Meinung nach nicht optimal entwickeln. „Dann passe ich die Tränkekurve an.“
Derzeit erhalten die Kälber nach der ersten Kolostrumgabe eine ad libitum-Tränke in den ersten drei Lebens­wochen. In der vierten Woche werden sie in Grup­penbuchten umgestallt und erhalten hier bis zu 12 l Tränke (MAT mit 50 % Magermilchanteil) pro Tag. An­schließend erfolgt ein langsames Abtränken, wobei sie in der 5. Woche 10 l, in der sechsten Woche 8 l bekommen, bis sie dann in der elften und zwölften Lebenswoche täglich noch zwei Liter erhalten.

Empfehlungen der Hersteller

Holm und Laue: Es gibt für den Tränke­automaten CalfExpert drei Standardkurven, bis zu acht eigene Kurven lassen sich erstellen. Beim Milchtaxi und Tränkeautomaten kann man vergleichbare Kurven wählen. Werden eigene Kurven erstellt, ist es wichtig zu beachten, dass man hohe Milchmengen und Konzen­tra­tionen nur mit sehr hochwertigen Milchaustauschern auf Basis von Magermilch oder mit Vollmilch umsetzt. Wenn günstigere Null­austauscher zum Einsatz kommen, ist die „restriktive“ Kurve besser geeignet. Zur Überprüfung der Kurve gehört eine manuelle Kalibrierung des Milchaustauschers. Ebenso wichtig ist eine gute, regelmäßige Tierkon­trol­le! Zudem wird eine Kontrolle der Tränke­kurven durch firmeneigene Berater angeboten.
Förster Technik: Bei den Tränkeautomaten sind vier Tränkepläne hinterlegt. Beim Calfrail sind bis acht Fütterungen möglich. Die Planein­stellung beim Milchmobil sind vergleichbar wie beim Tränkeautomaten.  Empfohlen wird der 40FIT-Tränkeplan, der je nach Betrieb angepasst werden kann. Wenn Milcherzeuger ihre eigenen Kurven nutzen bzw. die Standard­kurven verändern, sollten sie darauf achten, dass die physiologischen Erforder­nisse der Tiere berücksichtigt werden. Dazu gehören: häufige Tränkegaben (mehr als drei Mal täglich), kleine, altersgerechte Portionen, die richtige Sauggeschwindigkeit (0,4 bis 0,5 l pro Minute), ausreichende Energie- und Nährstoffbereitstellung und spätes sowie stressfreies Abtränken.
Urban: Bei dem Tränkeautomaten AlmaPro sind standardmäßig fünf Tränke­kurven hinterlegt. Die Dosiermengen können beim MilkShuttle individuell angepasst werden. Die Tränkekurven sollen als Anhaltspunkt dienen, sie sollten aber die individuellen Bedürfnisse der Kälber auf jedem einzelnen Milchkuh­betrieb berücksichtigen. Weitere Absprachen mit den Herstellern der Milchaustauscher werden empfohlen. Das Anpassen der Tränkekurven sollten langsam und mit Bedacht erfolgen. Änderun­gen von zu vielen Faktoren gleichzeitig, bringen oft mehr durcheinander als das sie zielführend sind.

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