In Bayern und Baden-Württemberg wirken sich die Tierwohl-Vorgaben von Politik und Handel besonders massiv aus. Droht durch das Aus der Anbindehaltung nun ein Strukturbruch?
Kleine, stabile Betriebsstrukturen, starke Markenmolkereien und bessere Milchpreise. Fast neidisch blickten norddeutsche Milcherzeuger in der Vergangenheit regelmäßig in den Süden. Doch schon bald...
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Kleine, stabile Betriebsstrukturen, starke Markenmolkereien und bessere Milchpreise. Fast neidisch blickten norddeutsche Milcherzeuger in der Vergangenheit regelmäßig in den Süden. Doch schon bald könnte sich dieses Bild komplett wenden. Denn der Druck von Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und Politik auf die Tierhaltung wirkt sich nirgendwo so massiv auf die Milchbranche aus wie in Bayern und Baden-Württemberg. Bisher verlief der Strukturwandel hier kontinuierlich mit einer jährlichen Rate zwischen 4 und 5 % (siehe Übersicht 1).
Haupttreiber war eine fehlende Hofnachfolge. Jetzt aber befürchten Branchenexperten vor allem durch die vom LEH angekündigte Auslistung der Milch aus Haltungsformstufe 1 mit ganzjähriger Anbindehaltung nicht nur einen beschleunigten Strukturwandel, sondern geradezu einen „Strukturbruch“. „Die Haltungsform- und Tierwohlkennzeichnung verändert die Branche in den nächsten zwei Jahren grundlegend, vor allem im Süden. Danach ist Tierwohlmilch Standard“, schätzt Christian Schramm von der Molkerei Zott.
Christian Schramm
Molkerei Zott
Mertingen
Über 11.000 Existenzen gefährdet
Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) geht davon aus, dass Ende 2021 von den 23.500 bayerischen Milchlieferanten noch etwa 9.500 über ganzjährige Anbindehaltung verfügten. Davon werden nur etwa 1.000 noch bereit sein, in die Laufstall- oder Kombinationshaltung (Anbindung mit 120 Tagen Weidegang im Jahr; Haltungsformstufe 2) zu investieren, schätzt der Verband. Da rund 25 % der bayerischen Milch aus der Anbindehaltung stammen, dürfte also mit dem Aus dieser Betriebe eine erhebliche Menge wegfallen. Vor allem im Bayerischen Wald und in Südbayern droht ein Aderlass.
In Baden-Württemberg waren laut Landwirtschaftszählung 2020 noch 44 % der rund 6.000 Milchkuhbetriebe Anbindehalter, das entspricht 17 % der Kühe und ca. 10 % der Landesmilchmenge. Regional trifft es dabei Oberschwaben und die Ostalb besonders stark. Dahinter rangieren der Schwarzwald und der Raum Schwäbisch-Hall. Die Milchmenge ist in beiden Bundesländern bereits seit einiger Zeit rückläufig, in Bayern sogar im dritten Jahr in Folge (siehe Übersicht 1).
Übersicht 1: Entwicklung von Milchmenge und Anzahl der Milchviehhalter seit 2017
Kein großes Wachstum mehr möglich
„Die Betriebe, die weiter melken, können die wegbrechenden Milchmengen wahrscheinlich nur noch zur Hälfte auffangen. Auch sie dürften wegen der Düngeverordnung, hohen Bauauflagen und Kosten, einer fehlenden Hofnachfolge sowie einem Mangel an Mitarbeitern nicht wie in der Vergangenheit weiter wachsen“, befürchtet GVB-Vertreter Ludwig Huber.
Der Druck auf die Fläche wird sich für sie – je nach Region – vermutlich leicht entspannen. Doch die Gefahr, dass freiwerdende Flächen in schwer zu bewirtschaftenden Gebieten, z. B. im Alpenvorland, zunehmend aus der Produktion fallen, ist groß. Sie sind für andere, größere Betriebe oft nicht attraktiv genug. „Daher wäre auch aus Sicht des Erhalts der Kulturlandschaft wichtig, dass für diese kleinen Milcherzeuger eine Zukunftslösung gefunden wird“, erläutert ein Sprecher des bayerischen Landwirtschaftsministeriums.
Ob die verbleibenden Betriebe die Flächen am Alpenrand weiter bewirtschaften, ist fraglich. Letztlich steht damit auch der Erhalt der Kulturlandschaft auf dem Spiel.
(Bildquelle: Lehnert, Silvia )
Wenig Umbauten
Bisher ist das trotz besonderer Förderprogramme (bis zu 40 % der Investitionssumme) und spezieller Beratungsinitiativen der beiden Länder und der Molkereien nicht auf breiter Front gelungen. Nur sehr wenig Anbindebetriebe haben in den letzten Jahren auf die Kombinationshaltung umgestellt oder einen Laufstall gebaut. Das Landwirtschaftsministerium in Stuttgart förderte jährlich nur etwa 20 Neu- und Umbauten.
Eine große Investitionswelle wird auch in Zukunft nicht mehr erwartet. „Bei einem Drittel der Anfragen ist die Umstellung auf Laufstallhaltung aufgrund von Dorflage, Nähe der Wohnbebauung, Immissionsschutzauflagen, beengter Hofstelle oder durch das Gelände nicht möglich“, berichtet Thomas Winkler, Fachberater am Amt für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten in Traunstein. Hinzu komme, dass die hohen Baukosten eines Neubaus für kleinere Betriebe oft nicht zu stemmen seien. Die aktuelle Verteilung der Bestandsgrößen finden Sie in Übersicht 2 und 3. Der Durchschnittsbestand in Bayern hat 43 Kühe, in Baden-Württemberg liegt der Schnitt bei 55 Kühen.
Übersicht 2: Die Bestandsgrößen-Verteilung in Bayern
Wie soll Tierwohl finanziert werden?
Die Anbindehalter vermissen seit Jahren eine verlässliche Haltung der Politik. Bisher gibt es weder ein konkretes Ausstiegsdatum – das Jahr 2032 steht lediglich in der Diskussion – noch klare Aussagen darüber, wie das Mehr an Tierwohl finanziert werden soll. Und während die bayerische Landwirtschaftsministerin, Michaela Kaniber, noch von der neuen Regierung in Berlin eine klare Position zur Kombinationshaltung erwartet, raten Beobachter Praktikern bereits davon ab. „Ein pauschales Verbot der Anbindehaltung, das die Bundesregierung plant, hätte auch für die jetzt propagierte Kombinationshaltung Folgen. Ein Umstieg in diese Haltung wäre dann nur Milcherzeugern zu raten, bei denen bereits ein Ausstiegsszenario feststeht und die nur noch bis zum gesetzlichen Verbot der Anbindung kalkulieren müssen“, warnt Ludwig Huber, GVB.
Verwerfungen bei den Molkereien
Ähnlich groß wie bei den Erzeugern ist die Verunsicherung bei den Molkereien: „Bei uns macht die Milch aus ganzjähriger Anbindehaltung ca. 32 % der gesamten Anlieferung aus. Ein schneller Wegfall wäre für uns ein großes Problem“, beklagt Andreas Kraus, Geschäftsführer der Goldsteig Käsereien in Cham, mit rund 1 Mrd. kg Milchverarbeitung im Jahr. Weil seine Laufstallbetriebe diesen Verlust nicht auffangen können, erarbeite man derzeit Strategien für die Zukunft.
Obwohl Käse vorerst nicht von der Haltungsformkennzeichnung betroffen ist, bereitet der Molkereichef seine Mitglieder auf den Einstieg vor. „Keine Molkerei, die über den LEH vermarktet, kann sich hinstellen und sagen, wir haben hier nichts zu bieten“, so Kraus. Die einzige Alternative sei, die Absatzkanäle zu verändern und z. B. mehr im Export zu vermarkten. „Doch das ist sehr aufwändig und mit hohen Prozesskosten in der Molkerei verbunden.“
Für kleinere Molkereien und Käsereien müssen Gesetzgeber und Marktakteure, vor allem aber der Handel, weiterhin die Kombihaltung ermöglichen, sonst brechen sie uns reihenweise weg“
Dr. Hans-Jürgen Seufferlein, Verband der Milcherzeuger Bayern
Viele in der Branche sind sich sicher: Auch bei den Molkereien werde es zu Verwerfungen kommen. In Baden-Württemberg gibt es derzeit ca. 16 Molkereien und Käsereien, in Bayern sind es rund 80. „Kleinere Molkereien, Käsereien und Sennereien am Alpengürtel haben zwar ihre eigenen Märkte und sind deshalb nicht vom LEH abhängig. Hier müssen Gesetzgeber und Marktakteure, vor allem aber der Handel, weiterhin die Kombihaltung ermöglichen, sonst brechen sie uns reihenweise weg“, fordert Dr. Hans-Jürgen Seufferlein vom Verband der Milcherzeuger in Bayern, VMB.
Dr. Hans-Jürgen Seufferlein
Verband der Milcherzeuger Bayern
Die größeren Molkereien dagegen werden durch die steigenden Logistikkosten zumindest bei der Erfassung zu mehr Kooperation gezwungen sein als bisher. Das Potenzial sei trotz der Vielzahl an Milchsorten da, bestätigen Experten. Eine gemeinsame Überschussverwertung von Magermilch, Rahm und Molke sei ebenso denkbar.
Übersicht 3: Die Bestandsgrößen-Verteilung in Baden-Württemberg
Mehr Wettbewerb unter den Molkereien
Gleichzeitig dürfte sich der innerdeutsche Wettbewerb unter den Molkereien aber noch verschärfen. Die Befürchtung ist, dass norddeutsche Konzerne dem LEH vermutlich schneller größere Milchmengen in den Haltungsstufen 2, 3 und 4 liefern können als die süddeutschen. Bayern trägt aktuell ca. 25 % zum deutschen Milchaufkommen bei. „In einige alte Laufställe muss erst bezüglich der nötigen Maße investiert werden und auch die Möglichkeiten für Weide sind allein aufgrund der Lage vieler Betriebe und des Aufwandes vielfach begrenzt“, erklärt Dr. Hans-Jürgen Seufferlein vom Verband der Milcherzeuger in Bayern, VMB.
Zuchtpopulation sinkt
Fusionen oder zumindest engere Kooperationen, wie jüngst der Zusammenschluss der Allgäuer Herdebuchgesellschaft (AHG) mit dem Zuchtverband Schwarzbunt und Rotbunt Bayern (SRB), sind auch in der süddeutschen Zuchtbranche ein Thema: „Schätzungsweise ein Drittel der Herdbuchbetriebe mit einem Fünftel der Herdbuchkühe in Bayern wirtschaften in Anbindehaltung, teilweise in Form der Kombinationshaltung. Ein Aus dieser Betriebe wäre für unsere Rinderzucht dramatisch“, prophezeit Dr. Johann Ertl, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Süddeutscher Rinderzucht- und Besamungsorganisationen (ASR).
Mit einem Aus der Anbindebetriebe würde die Herdbuchpopulation bei Fleckvieh empfindlich schrumpfen.
(Bildquelle: Lehnert Silvia )
Die Folgen einer sinkenden Zuchtpopulation: weniger Besamungen und ein kleinerer Markt für Zucht- und Nutzvieh. Aktuell sind in Bayern noch zwölf Rinderzuchtverbände aktiv. In Baden-Württemberg gibt es nur noch die Rinderunion Baden-Württemberg (RBW). Die Gespräche, wie die Organisationen auf einen möglichen Strukturbruch reagieren können, würden laufen, konkrete Konzepte gebe es derzeit aber noch nicht, so Ertl.
Wie geht es weiter?
Wie dramatisch sich die süddeutsche Milchbranche verändern wird, mag derzeit keiner vorhersagen. Untergangsstimmung sei allerdings auch nicht angebracht. „Die Ausgangssituation für die süddeutsche Milcherzeugung ist durch gesunde Betriebe und wüchsige Standorte mit ausreichend Niederschlägen weiterhin gut. Zudem haben wir mit Fleckvieh das Zweinutzungsrind, das den Bedürfnissen des Marktes sehr entgegenkommt“, weiß Christian Schramm von Zott. Auch wenn der Druck auf die höherpreisigen Marken steige, werde es künftig Möglichkeiten geben, sich abzuheben. Schramm: „Nach wie vor geben unsere top-Marken bundesweit den Takt vor und ermöglichen höhere Milchpreise.
Lesen Sie weiter: In der Elite-Ausgabe Nr. 3/22 stellen wir Strategien vor, wie Anbindehalter auch in Zukunft in der Milch bleiben können.
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