Biodiversitäts-Initiative

Die Schweiz entscheidet: Es ist genug!

In einer Volksabstimmung haben sich die Schweizerinnen und Schweizer gegen eine Initiative für mehr Biodiversität entschieden. Milcherzeuger sind erleichtert.

Am gestrigen Sonntag haben die Schweizerinnen und Schweizer in einer Volksabstimmung eine Initiative für mehr Biodiversität mit deutlicher Mehrzeit abgelehnt. 63% der Schweizerinnen und Schweizer stimmten für Nein. Viele Milcherzeuger sind erleichtert, denn sie befürchteten enorme Einschnitte. Dennoch ist das Thema nicht vom Tisch. Eine Erklärung an vier Köpfen:

Biodiversitätsinitiative: Worum ging es?

Jonas Schälle

BirdLife

Naturschutzverbände, wie z.B. BirdLife, erkennen zwar an, dass in der Schweiz insbesondere seit einem agrarpolitischen Paradigmen-Wechsel in den 1990er Jahren viel für Umwelt und Naturschutz getan worden ist. Doch die Fortschritte seien zu langsam, wie Jonas Schälle, Projektmanager bei BirdLife, berichtet: „Die Roten Listen der Schweiz sind die längsten aller OECD-Staaten, ein Drittel aller Arten sind gefährdet. Wir erreichen kein einziges der 13 Umweltziele für die Branche. Neben der Klima- steuern wir direkt in eine Biodiversitätskatastrophe – es ist unumgänglich, sich hier noch stärker einzusetzen!“
Er fordert eine kleinteilige Land(wirt)schaft, um Vögeln, aber auch anderen Tieren und Pflanzen einen vielfältigeren Lebensraum zu bieten. Das unterstützen Verbraucherschützer, die eine kleinstrukturierte Landwirtschaft als nachhaltiger empfinden.
Zentrale Forderungen der Initiative waren ein stärkerer Schutz von Tieren, Pflanzen, Landschaften und Ortsbildern, um „die Lebensgrundlage auch für zukünftige Generationen zu erhalten“. Dazu sollten wertvolle Gebiete, die bereits heute in sog. Inventaren organisiert sind, noch deutlicheren Einschränkungen unterliegen (z.B. strengere Anforderungen für Bauprojekte) und Natur, Landschaften sowie baukulturelles Erbe auch außerhalb der Schutzzonen geschont werden. Kerngehalte, also prägende Elemente wie eine Trockenwiese, müssten unbedingt erhalten werden.
Der Bund rechnete mit Mehrausgaben für Bund und Kantone von rund 400 Mio. Franken pro Jahr (zusätzlich zu den 600 Mio. Franken, die heute schon für Biodiversitätsprojekte ausgegeben werden). Bundesrat und Parlament ging die Initiative zu weit.

Fritz Glauser

Schweizer Bauernverband

Schweizer Parteien wie SVP, FDP, die Mitte sowie Bauern- und Wirtschaftsverbände waren gegen die Initiative: „Bereits jetzt haben wir die höchsten Standards der Welt, z.B. in Bezug auf Tierschutz. Wenn wir die Ernährung aus dem eigenen Land sichern und dabei auch noch Aufwand reduzieren wollen, muss jetzt die gesamte Wertschöpfungskette ran, nicht wieder nur die Landwirte“, erklärt beispielsweise Fritz Glauser, Vize-Präsident des Schweizerischen Bauernverbandes. Neben einem positiven Einfluss auf die Umwelt soll z.B. auch die Arbeitseffizienz bis 2050 im Vergleich zu 2020 um 50% steigen. Zudem kritisieren viele Branchenteilnehmer, dass das agrarpolitische System der Schweiz seine Grenzen in Bezug auf Komplexität und administrativem Aufwand erreicht habe.

Was sagen die Milcherzeuger?

In der hochorganisierten und teuren Schweiz sind gerade die Milchprodukte diejenigen, die international wettbewerbsfähig sind. Derzeit gibt es noch 31.900 rinderhaltende Betriebe, die durchschnittliche Betriebsgröße insgesamt beträgt 22 ha. Rund 44 % aller Betriebe liegen in der Tal-, 15 % in der Hügel- und 41 % in der Bergregion. Auch in der Schweiz geht die Anzahl der Milchkuhbetriebe zurück, wenn auch nicht so stark wie in Deutschland (-1,8 % im Vergleich zum Vorjahr).
Gerade in den Bergregionen sind die Bedingungen schwierig. Deshalb werden landwirtschaftliche Flächen je nach klimatischer Lage, Dauer der Vegetationszeit, Erschließung und Aufbau der Oberflächen in Tal-, Hügel- und Bergzone 1 (günstiger gelegene Berglage) bis 4 (extreme Berglage) eingeteilt. Danach richtet sich u.a. auch die finanzielle Unterstützung.

Ueli Heim

Milcherzeuger, 20 Kühe

Der Betrieb von Ueli und Cornelia Heim liegt in Bergzone 2. Gemeinsam mit zweien ihrer vier Söhne bewirtschaften sie eine Fläche von 33 ha und halten im Schnitt 20 original Simmentaler Kühe (26 im Winter, 16 im Sommer auf der Alp), 30 Jungrinder, 15 Kälber und 5 Ziegen. Für Ueli Heim wäre die Umsetzung der geforderten Vorgaben kein großes Problem: „Gerade im Alpengebiet machen die Betriebe schon sehr viel in Sachen Biodiversität. Wir müssen 7% der Fläche entsprechend bewirtschaften, unser Betrieb kommt leicht auf 15 bis 20%.“
Für ihn ist eher die Haltung dahinter problematisch: Kriege in Europa und in Nahost, eine wachsende Bevölkerung, die Ausdehnung von Städten und Industrie – da müsse auch die sichere Produktion von Nahrungsmitteln ihren Platz behalten.
Die Balance zwischen Produktivität und Biodiversität ist eine Gratwanderung – insbesondere in einer „satten“ Gesellschaft.
Ueli Heim, 20 Kühe, Simmental
Der Milchkuhbetrieb nutzt ausschließlich Familien-Ak, bis auf Ueli Heim arbeiten alle Familienmitglieder zusätzlich außerhalb. Um Direktzahlungen zu erhalten, müssen Heims eine Vielzahl an Vorgaben einhalten (Tipp: Wer tiefer gehen möchte – Details finden sich hier)

Einschränkung für Generationen?

Roland Nussbaumer

Milcherzeuger, 100 Kühe

Ähnlich sieht das Milcherzeuger Roland Nussbaumer aus dem Kanton Solothurn (Nord-West-Schweiz). Mit seiner Frau Petra und einem Azubi managt er 100 Holstein-Kühe auf 40 ha Land. Für die Grundfutterversorgung ist er auf Futterzukäufe angewiesen. Er sagt: „Ich finde die Forderungen viel zu extrem. Die Initiative will über 30% der Fläche für Biodiversität nutzen, regenerative Energien wie Windräder werden in den ausgeweiteten Zonen verboten. Wir würden uns für Generationen viel zu sehr einschränken!“
Die Schweiz sei bereits sehr kleinstrukturiert (“vor allem, wenn man mal durch Norddeutschland fährt“), überall gebe es Hecken und Blumenwiesen. Auch Familie Nussbaumer bewirtschaftet mehr als die vorgegebenen 7% der Flächen ökologisch. Auf dem restlichen Land muss und will er intensiv wirtschaften, um genügend Futter für seine Kühe zu produzieren.
Gerade in den intensiv nutzbaren Regionen würde viel zu viel Fläche aus der Produktion genommen werden!
Roland Nussbaumer, 100 Kühe

Und jetzt?

Ueli Heim und Roland Nussbaumer sind zufrieden, dass ihre Landsleute die Volksabstimmung mit 63% der Stimmen abgelehnt haben (Wahlbeteiligung: 45%). Ihrer Meinung nach setzen die Betriebe schon sehr viel um, oft sogar über die Pflicht hinaus. Roland Nussbaumer: „Das sollten wir in Zukunft noch besser kommunizieren, damit klar wird, dass in Sachen Biodiversität jeder etwas beitragen kann – auch die Städte, die Industrie, der Landverbrauch!“

Eine Erklärung für Ausländer: Wie die Schweizer ihre Bauern unterstützen

Wie auch in Deutschland, war die Schweizer Agrarpolitik bis zum Ende der 1980er vor allem auf Ernährungssicherung ausgerichtet – auch hier hatten zwei Weltkriege Spuren hinterlassen. Ab Anfang der 90er Jahre steuerten die Eidgenossen um: Ökologie, mehr Marktorientierung und übergeordnete Ziele für die Landwirtschaft wurden wichtiger. Zu den Zielen gehören heute u.a. ein Selbstversorgungsgrad von 50% (derzeit: 45%) durch regional angepasste Produktion, eine gesunde, aber ressourcenschonende Ernährung der Bevölkerung sowie eine klimafreundliche Landwirtschaft (z.B. -40% Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990). Ein Vorteil der Branche ist eine sehr starke Lebensmittel-Industrie in der Schweiz (u.a. sitzt Nestlé dort).
Da viele landwirtschaftliche Betriebe jedoch in benachteiligen Gebieten wirtschaften, entschieden die Schweizerinnen und Schweizer sich in der Vergangenheit u.a. für einen gewissen Außenschutz:
| Grenzschutz für Agrarprodukte: Auf Importe werden hohe Zölle von durchschnittlich 32,4% fällig (2022), je nach Produktgruppe (z.B. Milchprodukte: 187,5%) und Importkontingent (hohe Zölle erst bei Überschreitung des Kontingents).
| Direktzahlungen: Schweizer Betriebe erhalten im Schnitt 50% Einkommensunterstützung aus Steuergeldern, in den Berggebieten rund 80%. Nur in Norwegen und Island ist diese Quote höher; in der EU beträgt der Anteil an Direktzahlungen 19%, in den USA 11%. Dafür gibt die Schweiz, per Volksabstimmung abgesichert, rund 2,8 Mrd. Franken jährlich aus (76% des Agrarbudgets). Die Direktzahlungen sind an viele Vorgaben geknüpft.
| Produktions- und Absatzförderung: Rund 534 Mio. Franken investiert die Schweiz in Initiativen, welche den Absatz landwirtschaftlicher Produkte und die Erschließung neuer Märkte (u.a. im Ausland) fördern sollen.
| Neben Forschung und Beratung ist ein weiteres politisches Instrument die Strukturverbesserung: Bodenverbesserung, regionale Entwicklung oder Neu- bzw. Umbau landwirtschaftlicher Gebäude gehört in diese Kategorie.
Die Schweiz ist eine direkte Demokratie. Regelmäßig stimmen sich die Schweizerinnen und Schweizer per Volksabstimmung zu Sachfragen ab.
Quelle: IFAJ Kongress 2024, Schweiz; Economiesuisse; Biodiversitätsinitiative
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